Der Freitag des Révoltés Festival liegt – mit einem fulminanten Resümee – hinter seinen Besuchern. Auf dem Zeltplatz und in der Stadt rund um die Gilde Parkbühne erwacht langsam das Leben und der Samstag wird von einem beschwingt positiven Gefühl begleitet. Heute präsentieren Irie Révoltés Bands wie Moop Mama, Che Sudaka, The Swag und Alex Mayr, bevor sie selbst die Bühne entern und sich mehr als gebührend von ihren Fans verabschieden.
„Ich glaube ich schlafe. Ich kann das echt nicht fassen!“
Wie auch am Vortag eröffnen die Gastgeber den Tag auf der Open Air Bühne an der Leine. Dankend fassen sie den Freitag zusammen, begrüßen die bereits anwesenden Gäste und stellen die erste Künstlerin vor. Alex Mayr war oft mit Irie Révoltés unterwegs und gehört – wie der Rest ihrer Band – zur „Révoltésfamilie“. Das aktuelle Wochenende scheint nicht selbstverständlich für Mal Élevé und Carlito zu sein: „Kommt bitte alle vor die Bühne, Alex braucht Euren Support“, fordert Carlito das Publikum und führt weiter aus: „Das hier ist nicht einfach nur ein Festival für uns. Es war mega geil mit Euch! Zwei Tage mit Euch und den ganzen Bands, ich muss das immer wieder sagen. Ich glaube ich schlafe. Ich kann das echt nicht fassen!“
Alex Mayr startet smooth mit ihrer Band in den Samstag und präsentiert urbanen deutschsprachigen Pop mit weltmusikalischen Einflüssen. Sanft und dezent frech verzaubert sie die Zuhörer vor der Bühne. Schweift der Blick über den Veranstaltungsort, ist schnell klar, dass man sich auf einem Fest für die ganze Familie befindet. Während sich Musikpilgernde vor der Bühne im Takt schwingen, liegen andere in der Sonne. Kinder rennen über den Platz und spielen miteinander, während ihre Eltern zu den sanften Klängen der drei Musiker tanzen. Auch ein Jungesellinnenabschied hat sich unter das Publikum gemischt und zelebriert diesen besonderen Tag in bester Gesellschaft. Das Gelände füllt sich stetig und wird am Ende aus allen Nähten platzen.
„We could let the music take control“
The Swag betreten mit einer klaren Message die Parkbühne: „Music is all about love! Music is all about expression!“. Ihre ins Ohr gehenden Texte und Botschaften finden großen Anklang bei den Besuchern. Auf ein lautes „Are you ready to dance“ folgen die Révolté-Gäste maximal motiviert. Die Hände wippen im Beat und die Gilde Parkbühne ist glasklar vom Hip Hop infiziert. „We could let the music go and take control“, so Frontmann Rapturous. Er bittet sein Publikum sich hinzuhocken und wirbelt kurze Zeit später mit der wunderschönen Doppeldeutigkeit „Rise everybody, rise!“ über die Bühne. Eine schöne und gleichermaßen beruhigende Idee in Zeiten wie diesen. Die Berliner Hip Hop Kombo ist jeden Dienstag im Badehaus in Berlin zum The Swag Jam anzutreffen.
Erneut betreten die beiden Irie Révoltés Stimmen Mal Élevé und Carlito die Bühne. Nachdem sie sich erneut bei dem örtlichen Veranstalter Hannover Concerts bedanken, erzählen sie, dass Che Sudaka ihre komplette Backline am Pariser Flughafen zurücklassen mussten. Doch auch die schwierigsten Voraussetzungen werden an diesem Wochenende mit Bravour gemeistert.
Che Sudaka bringen die Sonne und den Ska Barcelonas mit argentinischen und kolumbianischen Wurzeln nach Hannover. Musikalisch sind die vier dabei so vielseitig, wie dieses großartige Fest. Mit Reggae-, Punk-, Ska-, Hip-Hop-, Latin- und Alternative-Rock-Einflüssen gestalten Che Sudaka ein ganz eigenes Genre, mit dem sie das heutige Publikum in kürzester Zeit fest im Griff haben. Auch der Name der Band spricht für sich und die Wichtigkeit solch einer Band an diesem Wochenende. Im Spanischen benutzt man das Wort „sudaka“ als Abwertung südamerikanischer Einwanderer. Che Sudaka jedoch nutzen ihren Namen, um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu setzen.
Im besten Sonnenschein wird vor der Bühne das Tanzbein geschwungen und man bekommt schnell Lust auf mehr. Die Stimmung ist wild und ausgelassen. Die Arme und Hände der Zuschauer schwingen in der Luft von links nach rechts und zurück. Che Sudaka brechen ein wahres Gewitter über der Gilde Parkbühne nieder – eines von diesen unfassbar willkommenen Gewittern.
Überschwänglich vergießen die Pogowolken ein paar Freudentränen zu viel über Hannover
Schweift der Blick gen Himmel, könnte sich die eine oder andere Sorge zum Wetter einschleichen. Es ist ein wahres Spektakel: Die stadionnahe Himmelseite verdunkelt sich hinter schweren und tiefhängenden Wolken, während Richtung Döhren weiterhin schönster blauer Himmel strahlt. Es wirkt fast, als würde sich der Himmel – angestachelt durch die angenehmen Klängen der Wahlspanier – zu einer Wall of Death formieren.
Wenige Minuten später wird genau dieser Gedanke Realität. Überschwänglich vergießen die Pogowolken ein paar Freudentränen zu viel. Aber wer wären diese wunderschön feiernden Menschen in Hannover, wenn sie diese Misere nicht gekonnt ignorieren würden und stattdessen ungebrochen weiter tanzen. Che Sudaka bedanken sich für die großartige Zeit in Hannover und läuten ihren Abschied mit dem Ramones-Cover „Blitzkrieg Bop“ ein.
Moop Mama betreten heute als vorletzter Act die Bühne. Als feste Größe der Szene nehmen sie schnell gemeinsam mit dem Publikum Fahrt auf. Die pure Kunst des Entertainments steht der Marching Band förmlich ins Gesicht geschrieben. „Einen wunderschönen guten Abend hier in Hannover!“, begrüßt Keno Langbein das Publikum und fragt motiviert „Könnt ihr alle mal die Arme in die Luft heben? Bekommen wir das trotz Regen hin?“. Die Zuhörer lassen sich nicht lange bitten und schwingen euphorisch die Arme durch die Luft. Während die Leute im Pit augelassen tanzen, heizen Moop Mama der Gilde Parkbühne ordentlich ein: „Wir machen hier nur unseren Job. Ihr seid hier, um Spass zu haben!“, stellt der Frontmann fest.
Kurze Zeit später beeindruckt Keno mit seinen Freestylekünsten über den Regen, Einhornluftballons, Irie Révoltés und Amnesty International. Nachdem das Publikum eine Weile fast still lauscht, setzt ausschweifender Applaus ein und der Regen weicht immer mehr. Moop Mama liefern ordentlich ab. Das Hannoverpublikum glänzt textsicher bei Songs wie „Menschenmeer“, „Alle Kinder“ oder „Komplize“. Weiterhin laden die Münchner zu ihrer anstehenden Tour ein. Leider werden sie keinen Stopp in Hannover machen.
„Ihr seid die nächste Generation, ihr macht das jetzt hier weiter!“
Nun beginnt der Abschied. Irie Révoltés, der Gastgeber und Headliner dieses Wochenendes, steht in den Startlöchern. „Es ist der zweite Tag, wir freuen uns sehr jetzt hier zu sein“ starten die Heidelberger in ihr eigenes Finale. Die Show nimmt rasant Fahrt auf und es ist fast anzunehmen, dass sich die Hochstimmung der Gäste in den kommenden Minuten in Gänze entladen wird: Die Revolte hat begonnen. Schnell färbt sich die Dunkelheit zwischen Leine und Maschsee – geführt von dutzenden Bengalos – in ein tiefrotes Straßenkampflicht. Die Rauchschwaden hängen tief über der Menge und das Publikum wird immer mehr zu einer wilden, springenden Meute.
Es gibt kaum einen Moment, in dem nicht gehüpft oder gepogt wird. Sollte doch mal eine Pause nötig sein, liegt man sich in den Armen und beobachtet höchst verzückt das wilde Treiben. Es gibt wohl keinen einzigen Song an diesem Abend, der nicht lautstark mitgegrölt wird. Es muss ein einzigartiges Bild gewesen sein, wie die Besucher des Révoltés Festivals bei „Viel Zu Tun“ von links nach rechts und wieder zurück tanzen. „Nichts kann uns stoppen, auch keine verfickten Wasserwerfer!“ rufen die Heidelberger ins Publikum und führen fort „Wir lassen uns nicht unterkriegen. Das ist das letzte Jahr Irie Révoltés!“
Es muss ebenso einzigartig gewesen sein, die Energie bei Hits wie „Antifaschist“, „Allez“ oder „Aufstehn“ von außen zu beobachten. Zum Abschluss gibt es zu dem Titel „Fäuste Hoch“ Unterstützung von Moop Mama. Mal Élevé und Carlito setzen sich, während sie mit der Flagge der Antifaschistischen Aktion breitbeinig, mit in die Luft gestreckten Armen am Rand der Bühne stehen, ein eigenes Denkmal: Für diesen Abriss und das vergangene Wochenende. „Ihr seid die nächste Generation, Ihr macht das jetzt hier weiter!“, verabschieden sich die Musiker von der Festivalbühne. Jeder hofft, dass es am Ende doch nur eine Pause ist.
Au Revoir, Irie Révoltés!