Die brasilianische Metal-Institution Sepultura existiert seit nunmehr 35 Jahren und hat in dieser Zeit 14 Alben auf den Markt gebracht. Dabei ist der Weg der Band gepflastert mit Besetzungswechseln (nur noch Bassist Paulo Xisto Pinto Jr. ist von der Urbesetzung übrig) und einem stetigen Experimentieren mit verschiedensten Stilmitteln. Mit „Quadra“ kommt nun das 15. Studioalbum in die Läden und auch hier probiert sich der Metal-Vierer an verschiedensten Stilmitteln seiner Karriere aus. Dabei steht insbesondere die Titel-gebende Zahl „Vier“ im Mittelpunkt. Andererseits ist „Quadra“ das portugiesische Wort für „Sportplatz“ – also ein Ort, an dem gespielt wird, aber auch feste Regeln gelten.
„Die Spiel- und Experimentierfreude tropft nur so aus jedem Song und die vier Brasilianer sprengen auch auf „Quadra“ wieder die Grenzen des Metal.“
Auf der ewigen Suche
Sepultura starteten ihre Karriere mit dem Debüt „Morbid Vision“ und präsentierten sich hier noch sehr roh und direkt. Durch den anschließenden Wechsel an der Gitarre von Jairo Guedez zu Andreas Kisser wurde der Stil deutlich technischer und anspruchsvoller und Thrash Metal-Einflüsse gewannen die Oberhand. Der große Wurf gelang mit dem 1993 erschienenen Album „Chaos A.D.“, mit dem sich Sepultura allmählich in Richtung Hardcore bewegten. Das prägnante Cover mit der hängenden Mumie und dem stachelbewehrten „S“ begegnete einem auf jedem angesagten Festival gleich mehrfach auf zahlreichen T-Shirts. Allein der drei Jahre später veröffentlichte Nachfolger „Roots“ war erfolgreicher und bestach mit Anleihen aus ganz anderen Stilrichtungen, die sich insbesondere im Schlagzeugspiel des damaligen Drummers Igor Cavalera und ungewöhnlichen Settings und Gastmusikern (z.B. der indigene Itsári-Stamm) wiederfanden.
Nach dem Ausstieg des Sängers und Gitarristen Max Cavalera rückten Punk und Hardcore mit dem neuen Mann am Mikrofon Derrick Green weiter in den Fokus, aber auch die Tribal- und Weltmusik-Einflüsse blieben erhalten. Zudem wagte sich Green an clean gesungene Passagen. Die folgenden Alben „Roorback“ (2003) und „Dante XXI“ (2006) legten wieder deutlich an Tempo zu und bei letzterem probierte man sich an orchestralen Arrangements aus, die bei den folgenden Outputs auch in Form synthetischer Klänge weiter ausgebaut wurden.
Ein Querschnitt in vier Akten
Auf dem aktuellen Longplayer wollen Sepultura nun über zwölf Songs hinweg die vier prägenden Elemente ihres musikalischen Schaffens aufgreifen und sich zugleich neu erfinden. Dazu startet der Opener „Isolation“ mit einem opulent arrangierten Auftakt aus krachenden Trommeln und Synthesizer-Klängen, in die sich dramatisch schwingende Gitarren einfinden, um sich dann abrupt in eine schnelle und rohe Thrash Metal-Nummer zu verwandeln, die aber letztlich auch wieder zu den orchestralen Klängen des Anfangs zurückfindet.
Ähnlich stilistisch aufgebaut folgen die nächsten beiden Stücke des Albums „Means To An End“ und „Last Time“ und Green schreit sich seinen Frust und Ärger ungebremst von der Seele. Mit „Capital Enslavement“ wird den percussiven Klängen Tribut gezollt, ohne dass der Song an Wucht den vorangegangenen Stücken nachstehen müsste. Einzig die Synthesizer wirken hier irgendwie deplatziert. Etwas weniger mit Worldbeats verfeinert, aber dennoch rhythmisch ausgefallen und besonders gestalten sich dann auch die beiden folgenden Titel „Ali“ und „Raging Void“, die den zweiten Akt komplettieren.
Die nächste Songtriade gibt sich noch deutlich experimenteller. Cleane Gitarren, die – ohnehin nicht immer klar linearen Songstrukturen folgenden – Songs werden hier noch ausufernder. Dabei wirkt der Song „Guardians Of Earth“ in sich noch einmal wie ein Bindeglied zwischen dem Album in sich und verknüpft gekonnt die gesamte Bandbreite. „Pentagram“ hingegen ist komplett instrumental. Ebenso ohne Stimme kommt der kurze Titelsong „Quadra“ aus, der zudem auch auf verzerrte Gitarren und Schlagzeug verzichtet und den vierten Akt einleitet, der dann von den zwei eher melodiösen Songs „Agony Of Defeat“ und „Fear; Pain; Chaos; Suffering“ komplettiert wird und immer wieder auch cleanen Gesang beinhaltet.
„Wir alle kommen aus verschiedenen Quadras – Länder, Nationen mit ihren Grenzen und Traditionen; Kulturen, Religionen, Gesetze, Erziehung und ein Regelwerk, wie man zu leben hat.“
Besser ist nicht immer besser
„Quadra“ glänzt in jeglicher Hinsicht und hat dennoch markante Ecken und Kanten, ähnlich wie die antike Münze, die das Cover ziert. Musikalisch, wie auch technisch (die Instrumente ebenso wie die Aufnahme betreffend), gibt es im Grunde nichts auszusetzen. Die Songs funktionieren irgendwie trotz oder gerade aufgrund mancher vertrackter Aufbauten oder ausgefallener Beats. Der Sound drückt, monumentale Arrangements treffen schonungslos auf brachiale und wilde Passagen und verschmelzen miteinander. Verschiedenste Stile und Einflüsse ergeben auf wunderbare Weise ein Ganzes und die Band zeigt einmal mehr eindrucksvoll, wieso sie seit 35 Jahren derart erfolgreich sind.
Und dennoch springt der Funke nicht so über wie damals bei „Chaos A.D.“, das nüchtern betrachtet in jeglicher Hinsicht weniger zu bieten hatte. Auch wenn sich die verschiedenen Stilelemente in den Songs wiederfinden, erreichen sie doch nie eine Tiefe und Authentizität wie bei dem grandiosen „Ratamahatta“ vom „Roots“-Album. Die Spiel- und Experimentierfreude tropft nur so aus jedem Song und die vier Brasilianer sprengen auch auf „Quadra“ wieder die Grenzen des Metal, dennoch bleibt der Gesamteindruck etwas klinisch, insbesondere wenn die Synthesizer nicht nur unterstützend den Sound unterfüttern, sondern in den Vordergrund rücken.
Gitarrist Andreas Kisser sagte in Anlehnung an die portugiesische Bedeutung des Wortes „Quadra“: „Wir alle kommen aus verschiedenen Quadras – Länder, Nationen mit ihren Grenzen und Traditionen; Kulturen, Religionen, Gesetze, Erziehung und ein Regelwerk, wie man zu leben hat.“ Das funktioniert gut und das Zusammenspiel nach bestimmten Regeln ergibt einen guten Querschnitt einer Ausnahme-Band. Ihre wirkliche Größe erreichen Sepultura aber nur, wenn sie sich fernab der Grenzen bewegen und die Regeln auch mal links liegen lassen.