Slipknot und Code Orange in Hannover

Slipknot am 18.06.2019 live in der TUI Arena in Hannover
Foto: Hanna Hindemith

Slipknot sind derzeit in Europa auf großer Festivaltour unterwegs. Neben Shows unter anderem auf dem Rock am Ring (Festivalbericht), dem Rock im Park oder dem Hellfest am kommenden Wochenende stehen auch einige Hallenkonzerte auf dem Plan. So sind die Amis auch in der TUI-Arena in Hannover zu Gast. Die Halle ist ausverkauft. Die kommenden Stunden werden zur absoluten Supershow und zur Party des Jahres. Im Vorprogramm sind Code Orange zu sehen.

„Ihr seid unsere Familie. Und dabei ist es egal woher Ihr kommt, welche Hautfarbe Ihr habt oder welcher Religion Ihr angehört.“



Brachial, aber gut

15 Minuten früher als angekündigt betreten Code Orange die Bühne in der TUI-Arena. Noch spielt sich sehr viel vor den Türen ab, der Innenraum ist aber schon recht gut gefüllt. Die Combo aus Pittsburgh in Pennsylvania legt los wie die Feuerwehr. Was für ein brachialer Start! Allerdings will der Sound nicht so recht mitspielen – dieser kommt recht scheppernd aus den Boxen. Und so richtig will auch der Funke beim Publikum nicht überspringen, auch wenn sich das Quintett redlich bemüht. So läuft Bassist Joe Goldman beispielsweise dauerhaft wie ein Berserker über die Bühne, versucht das Publikum zu animieren und zum Mitmachen zu bewegen. Aber außer Höflichkeitsapplaus, rhythmischem Kopfnicken und hier und da mal einigen Fingern in der Luft passiert wenig im Publikum.

Code Orange, deren Logo – ein orangener Pantherkopf, groß über der Bühne prangt, spielen dennoch ihren Stiefel herunter. Die Band ist dabei enorm agil. Teilweise mit drei Gitarren aktiv, entsteht ein ganz ordentliches Brett. Musikalisch bietet die Band, die seit 2008 existiert, dabei eine explosive Mischung aus Metalcore, Metal, Hardcore und jeder Menge Downbeatparts. Hier und da wird es dann sogar etwas melodischer und progressiver. Auch Gitarristin Reba Meyers, deren Haare wild durch die Luft fliegen, übernimmt hier und da das Mikrophon. Überhaupt wechseln sich mit Reba, Drummer Jami Morgan und Gitarrist und Keyboarder Eric Balderose drei der Musiker beim Gesang ab und bringen so viel Abwechslung in die brachiale Musik ein.

Fast jeder Song startet dabei mit einem Sample und auch während einiger Songs werden Samples und Synthi-Klänge mit eingearbeitet. Das ist durchaus vielschichtig, wuchtig und gefällt, auch wenn die Band weiter einen schweren Stand hat. Die Songs kommen schwerpunktmäßig vom noch aktuellen Album „Forever“ aus dem Jahr 2017 und der noch neueren EP „The Hurt Will Go On“ aus dem Jahr 2018. Unter anderem gehört natürlich auch „Only One Way“ dazu. Aber auch einige Songs vom Album „I Am King“ werden zum Besten gegeben. Mit einem fast schon ironischen „You Are Welcome“ von Sänger und Drummer Jami beenden Code Orange dann nach knapp 40 Minuten recht plötzlich ihr Set. Und dieses war mehr als ordentlich, hätte allerdings deutlich mehr Resonanz verdient gehabt.

Horrormasken und Hexenkessel

Die Umbaupause dauert dann mit knapp 55 Minuten recht lang. Es ist aber nahezu greifbar, wie bei allen Besuchern in der Halle die Vorfreude steigt. Wer hätte 1999 gedacht, als Slipknot ihr gleichnamiges Debütalbum herausbrachten, dass diese Band 20 Jahre später so groß geworden ist? Selbst die kühnsten Optimisten nicht. Mehr als 12.000 Besucher sind in die TUI-Arena gepilgert, die Show war in kurzer Zeit restlos ausverkauft. Die Halle platzt aus allen Nähten. Die Bühne ist noch mit einem schwarzen Banner mit Namenszug verhüllt. Erster Jubel steigt auf, als sich die Buchstaben „Slipknot“ rot verfärben, dann erstrahlen sie in einem Gelb, dann fällt gegen 21.10 Uhr das Banner und Hannover kennt kein Halten mehr. Die TUI-Arena wird binnen Sekunden zum Hexenkessel. Slipknot starten ihr Set mit „People = Shit“, „sic“ vom besagten Debüt und „Get This“.

Bildergalerie: Slipknot

Schon zum Start schießen Feuerblitze und -fontänen en masse aus dem hinteren Teil der Bühne, auf der insgesamt neun gruselige Gestalten stehen. Horrorclowns und Serienmörderoptik: Das ist auch heute noch Slipknots Markenzeichen. Passend zum kommenden neuen Album „We Are Not Your Kind, das im August veröffentlicht wird, haben sich die Bandmitglieder neue Masken anfertigen lassen. Jeder Musiker sieht dabei anders aus und ist in seinem Kostüm und seiner skurrilen Maske beinahe schon ein Kunstwerk für sich. Und auch die Bühne kann man fast schon als solches bezeichnen. 

Links und rechts ragen Percussion-Türme auf, die Heimat der beiden Perkussionisten. Die Podeste und einige der Trommeln dienen zudem als Leinwände. Die Bühnenaufbauten im hinteren Teil sind leuchtende Rechtecke, auf denen Laufbänder angebracht sind. Hier sind auch große Ventilatoren eingebaut, die für Effekte genutzt werden, aber auch gleichzeitig zur Abkühlung auf der Bühne dienen. Und auf dieser passiert von Beginn so viel, dass man permanent den Eindruck hat, etwas zu verpassen. Selbst die beiden Basedrums leuchten von Innen. Als wäre das nicht genug, sind auch Lichterketten am Bass angebracht und die Lightshow ist dermaßen impulsiv und beeindruckend, dass sie von Beginn an mitreißt. Untermalt wird das Ganze von der Pryoshow, die einfach nicht abebben will.

Eine krachende Party

Slipknot feuern einen Kracher nach dem nächsten ins dankbare Publikum ab. Und so entsteht nicht nur ein Moshpit, sondern gleich mehrere. Nach den ersten drei Songs macht die Metal-Band aus Iowa eine kurze Verschnaufpause. Doch sehr schnell ist man zurück und es geht brachial, wild und heftig weiter. Sänger Corey Taylor macht zwar keine so langen Ansagen und doch bezieht er das Publikum mit ein, fordert „Screams“ und Stimmung. Da muss er das Publikum nicht lange bitten. Weiter geht es im Set unter anderem mit dem neuen Song „Unsainted“ oder Before I Forget“. Den nächsten Song beginnt Taylor mit den Worten „Listen carefully, 555“, worauf die Halle mit einem „666“ lautstark antwortet. Dies wird ein paar Mal wiederholt. Dann folgt „The Heretic Anthem“ vom Album „Iowa“. Danach spielt die Band noch weitere Hits, wie beispielsweise „Psychosocial“, „Devil In I“, „Sulfur“ oder „All Out Life“.

Liebeserklärung an die Slipknot-Familie

Slipknot sind 2019 zu einer wirklich großen und wegweisenden Band geworden. Dies hat dieser Abend gezeigt. Das liegt zum einen an der Mischung aus schneller Musik gepaart mit Samples und harten Riffs sowie überraschenden Melodien, einer actiongeladenen, tollen Show, aber eben auch diesem Schuss Morbidität. Hier darf man anders sein, hier darf man so sein wie man ist und sein will – und das seit nun beinahe 25 Jahren. Dies ist auch oft Inhalt der Songs. Zudem geht es thematisch um Selbstzweifel und Einsamkeit. Doch Fans und Band sind daher eine zusammengeschweißte Einheit, eine „Fucking Family“ wie Taylor es passend formuliert. Und dann bringt er es noch genauer auf den Punkt und bezieht sich dabei auf die Stimmung im Saal: „Wir machen das nur seit vielen Jahren und Ihr glaubt nicht, wie viel uns das bedeutet!“ Um dann wenig später noch einen draufzusetzen: „Ihr seid unsere Familie. Und dabei ist es egal woher Ihr kommt, welche Hautfarbe Ihr habt oder welcher Religion Ihr angehört.“

Nach 80 schweißtreibenden Minuten schließen Slipknot das Set mit „Duality“ vorerst ab, um dann erneut auf die Bühne zu kommen und mit „Spit It Out“ das nächste Highlight zu setzen. Es folgt mit „Surfaced“ der Rausschmeißer und das Publikum in Hannover dankt es noch einmal mit einem riesigen Circle-Pit, während auf der Bühne zum krönenden Abschluss noch weitere Feuerfontänen abgeschossen werden. Dann ist es vorbei und überall sieht man nur glückliche, völlig erschöpfte Besucher. Krasser Abend! Klasse Abend!