Willkommen im Schlamm! Die Wettergöttinnen und -götter meinen es in diesem Sommer nicht gut mit Hannover. Wer beim diesjährigen Fährmannsfest die Gummistiefel vergessen hat, war spätestens nach dem ersten Moshpit ein bisschen mehr Naturkind, als geplant. Zwischen tropfenden Regenjacken und einem ziemlich aufgeweichten Festivalgelände war jedoch eins klar: Niemand lässt sich vom Wetter die Laune verderben.
The Red Flags: Grunge voller Energie
Der Freitag startet feuchtfröhlich: The Red Flags, das Kölner Riot-Grrrl-Quartett, eröffnen die Stage pünktlich um 17.30 Uhr – und zwar im Dauerregen. Die vier liefern rotzigen Grunge mit viel Haltung und noch mehr Gitarre. Einige Besucherinnen und Besucher stehen zwar noch zögerlich unter den Bäumen und Pavillons, aber spätestens beim dritten Song wird es auch vor der Bühne voller. Die Message ist klar: Egal, wie das Wetter ist – wir sind hier, umzu spielen.
Itchy: Mittelfinger Richtung Wolken
Danach hieß es Bühne frei für ITCHY, die schon immer wussten, wie man trotz widriger Umstände richtig Alarm macht. Zwischen einzelnen Regenböen und Circle Pits klingen Songs wie „Fall Apart“ oder „Why Still Bother“ fast wie eine trotzige Kampfansage an das miese Wetter. Spätestens als Sänger Sibbi vom Publikum auf einem Gitarrenkoffer getragen wird und „Bro Hymn” performt, ist die Stimmung auf dem Höhepunkt. Die Band hat sichtlich Spaß – und das Publikum sowieso
The Subways: Mit Anlauf in den Matsch
Dann ging’s mit The Subways auf eine kleine Zeitreise zurück in die Nullerjahre – und wasfür eine! „Oh Yeah“, „Kiss Kiss Bang Bang“, „Influencer killed the Rock Star“ und natürlich„Rock’n’Roll Queen“ – jeder Song ein Grund, sich noch ein bisschen tiefer in den Boden zutanzen. Sänger Billy Lunn kann schließlich nicht widerstehen, klettert ins Publikum undnimmt mit Anlauf ein Bad im Matsch. Von da an gibt’s kein Halten mehr: The Subways zeigen, wie man das Wetter mit britischem Humor nimmt.
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Donots: Emotionaler Abriss
Als die Donots auf die Bühne kommen, ist alles klatschnass. Das beeindruckt aber weder die Band aus Ibbenbüren, noch das Publikum. Frontmann Ingo Knollmann schaut in glückliche Gesichter und ruft: „Was auch immer die hier ins Wasser tun – trinkt mehr davon!“. Was folgt, ist eine emotionale wie musikalische Abrissbirne: Alte Hymnen wie „Calling“, „Stop the Clocks“, „Auf sie mit Gebrüll“, englisch und deutsch gemischt – Hannover ist textsicher. Und bei „So long“ zum Abschied singt das Publikum noch minutenlang weiter. Ingo steht gerührt da und stellt fest: “Das sind die Abende, weswegen wir diesen Scheiß seit 30 Jahren machen.“
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Der Samstag
Es hat geregnet, gestürmt und irgendwann hat auch mal kurz die Sonne durchgeblinzelt – aber wen juckt’s? Beim Fährmannsfest geht es schließlich nicht um Sommerbräune, sondern um Haltung, Bier und laute Gitarren. Und mit Iron Roses, Adam Angst, Slime und Dritte Wahl gab’s am Samstag ein Line-up, das jede Kutte feucht werden ließ – ob vom Regen oder vom Pogo.
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Iron Roses: unverschämt mitreißend
The Iron Roses stehen für politischen Soundtrack mit Seele. Die amerikanische Band um Natasha Gray (Ex-boysetsfire) liefert Punkrock mit Offbeat‑Grooves und Mitsing‑Refrains, die das Hannoveraner Publikum schnell anstecken. Auch ein kurzer Schauer beim “Rebel Songs”-Riff tut der Stimmung keinen Abbruch. Mit charismatischer Stimme und kämpferischen Texten präsentieren sich die Iron Roses auf der Fährmannsfest-Bühne unverschämt mitreißend.
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Adam Angst: Der Spiegel der kaputten Gesellschaft
„Adam Angst in die Muppet Show!“, ruft das Publikum, als Adam Angst im Anschluss auf der Bühne stehen. Sänger Felix Schönfuss grinst und sagt: „Das klingt nach einer richtig schönen Ingo-Knollmann-Schnapsidee.“ War’s auch: die Donots haben die Crowd am Vorabend dazu angestiftet. Die Kölner Band liefert subversive Texte, saubere Riffs und eine Attitüde, die irgendwo zwischen Tocotronic und Wutbürger-Kabarett anzusiedeln ist. “Wir lassen uns nicht kleinmachen”, stellt Felix klar. Mit den Hits “Splitter von Granaten” und “Professoren” beenden Adam Angst ihren Auftritt.
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Slime: Alle gegen alle 2.0
Um 20.00 Uhr betreten Slime, die Hamburger Punk-Legenden, die Bühne. Auch Jahrzehnte nach ihrer Gründung – und mit neuem Sänger Tex Brasket – ist die Energie unverändert: Politische Texte kompromisslos vorgetragen. Der Regen? Macht zu diesem Zeitpunkt auch nichts mehr. Brasket singt erst seit 2021 in der Band, doch Klassiker wie „Alle gegen alle“ klingen überzeugender denn je. Zwischen alten Hits und Moshpit-Nostalgie feuern Slime sogar ein paar Songs vom neuen Album raus, das erst nächste Woche erscheint. Das Publikum freut’s.
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Dritte Wahl: Politpunk als Kollektivstatement
Und dann kommen Dritte Wahl – seit fast vier Jahrzehnten Deutschpunk mit Haltung, mit Geschichten aus dem Leben und Gesellschaftskritik. Die ewigen Optimisten des Ostpunk bringen trotz Matsch und 16 Grad eine Wärme auf die Bühne, bei der selbst der Himmel klein beigeben muss. Songs vom Album „Urlaub in der Bredouille“ singt das Publikum ebenso euphorisch mit, wie alte Hits. Die Band vermittelte das Gefühl, Teil etwas Größerem zu sein – laut, klar, solidarisch. „Fliegen“ ist das unvermeidbare Ende der Show und des zweiten Festivaltages. „Aber ich möchte fliegen, ganz weit oben über’m Meer“ singen 3000 Menschen. Und das auch noch, als Dritte Wahl längst wieder im Backstage stehen und ein Grinsen auf dem Gesicht tragen. Ganz ehrlich: Wer da keine Gänsehaut hatte, war wahrscheinlich schon auf dem Weg nach Hause.