Die Pandemie hat bei sehr vielen Bands und Künstlern bleibende Spuren hinterlassen – einige haben sogar das Handtuch geworfen. Auch bei Stray From The Path sah es zwischendrin überhaupt nicht gut aus. Allein schon durch die physische Trennung und der Tatsache, das Drummer Craig Reynolds aus Großbritannien stammt und somit – selbst als die Maßnahmen ein wenig gelockert wurden – nicht einfach so wieder für längere Zeit in die USA, wo der Rest seiner Bandkollegen zuhause ist, kommen konnte, schien alles im Sande zu verlaufen. Aber aus der Not wird bekanntlich eine Tugend und so kommt schließlich doch noch ihr neuntes Album namens „Euthanasia“ heraus.
Songwriting mal anders
Doch wie schreibt man Songs, wenn man in verschiedenen Zeitzonen lebt? Wie motiviert man sich überhaupt, wenn die gesamte Welt, so wie wir sie kennen, vorübergehend aufgehört hat, zu existieren? Gerade für Drummer Craig, der weit weg von seinen Bandkollegen und Freunden war, war dies eine schwierige Zeit, in der er, wie er selbst sagt, sehr unglücklich war. Er hat sogar mit dem Gedanken gespielt, die Drumsticks komplett an den Nagel zu hängen, selbst wenn Gitarrist Tom Williams ihm ein paar Gitarren-Riffs zum Rumprobieren zuschickte oder er sich den Rücken brach, als es schon ins Studio gehen sollte.
Aber nicht nur Craig war in einem tiefen Loch gefangen, denn wenn ihn dann doch mal die Muse küsste und er ein paar Schlagzeug-Rhythmen an Tom schickte, hatte dieser seit längerer Zeit die Gitarre überhaupt nicht mehr in der Hand gehabt. Also, was tun?
Zum Glück leben wir mittlerweile in einer Welt, in der es relativ einfach ist, online miteinander zu kommunizieren und verschiedene Dinge auch online zu erledigen und zu streamen. So kam Tom Craig auf die Idee, einfach mal ein wenig sein Schlagzeugspiel zu streamen und auf Twitch auf andere Schlagzeug-Videos zu reagieren und dies auf wirklich witzige Art und Weise zu kommentieren. Das brachte ein wenig Leben zurück in die Bude und so kam die Idee auf, den Songwritingprozess für das neue Album online zu machen. Craig hat Schlagzeug-Rhythmen kreiert und Tom hat was dazu direkt in seiner Online-Session gespielt und umgekehrt. Das passierte alles vor den Augen der Fans, die des Öfteren sehr guten Input lieferten und so tatsächlich beim Songwriting indirekt beteiligt waren. Und als dann auch der Rücken wieder heile war, stand der Aufnahme des neuen Albums nichts mehr im Wege.
„Here is another victim of the Modern Age“
Natürlich erwartet man jetzt nicht, dass aufgrund der neu entfachten Freude zur Musik ein fröhliches Album dabei herauskam – dafür haben Stray From The Path schon immer einfach zu viel Wut im Bauch gehabt und das hat sich auch bei der aktuellen Scheibe „Euthanasia“ nicht geändert, da auf der Welt einfach immer noch zu viel schief läuft. Aber dass das neue Album so dermaßen düster wird, hätte man jetzt nicht unbedingt vermutet. Wenn man sich allerdings den Weg der Band hierhin anschaut, wundert es den Hörer dann vielleicht im Nachhinein doch nicht mehr. Nichtsdestotrotz fällt es natürlich, gerade den langjährigen Fans der Band, direkt auf. Der Opener „Needful Things“ ist düster, sperrig und vor allem ganz schön wütend. Die Band hat sich tatsächlich zum Großteil neu erfunden und pfeffert eine düstere, vertrackte und schwere Soundwand nach der anderen raus. Man hört Einflüsse von Metalcore, Djent, Hip-Hop oder auch kleine Prog-Ansätze, alles verpackt im Hardcore-Gewand. Die einzige Konstante ist die wütende und schneidende Stimme von Drew Dijorio, die im Opener das ultrakapitalistische System aufs Schärfste verurteilt, welches so viel Leid verursacht.
Viel Platz für Wut, aber auch Kreativität
Auch die meisten anderen Songs des Albums strotzen nur so vor Wut. Sei es die Anprangerung der Gier der großen Unternehmen in „Guillotine“, welches mit dem wohl brachialsten Breakdown des Albums am Ende des Songs aufwartet („Off with their fucking heads“), die perfiden Methoden der Militärrekutierer in „Chest Candy“ oder die politische Selbstgefälligkeit in „The Salt In Your Spit“: Man kann die Wut und Frustration mal wieder förmlich schmecken. Selbst nach neun Alben ebbt die Wut der Band nicht ab dafür passiert einfach immer noch zu viel Unrecht auf der Welt. Besonders im einfach betitelten „III“, welches an sich „Badge & A Bullet Part 3“ ist, bekommt man wirklich den Drang, irgendetwas kaputt zu machen, so unglaublich aggressiv ist dieser Song gegen die Polizeigewalt und die damit einhergehende Propaganda, dass ja alles in Ordnung bei den Gesetzeshütern ist und diese nur Gutes tun. Schaut Euch auch das Musikvideo dazu an. Pures Gold, ernsthaft.
Video: Stray From The Path – III
Einzige Verschnaufpause ist ungefähr in der Mitte des Albums mit dem Song „Bread & Roses“ angesiedelt, mit welchem Stray From The Path völlig neue musikalische Wege beschreiten. Der Song ist im Refrain schon fast sphärisch und in der Strophe eher wehmütig als aggressiv. Allem voran kann man das hier auch auf die Zusammenarbeit mit Jesse Barnett von Stick To Your Guns zuschreiben, der im Refrain passend zum musikalischen Konstrukt seine cleane Gesangsstimme leiht. „Dieser Song wurde von Menschen wie Jesse inspiriert, die auf Gegenseitigkeit beruhen und in ihrem eigenen Leben Opfer bringen, um die Gemeinschaft zu verbessern“, erklärt Williams. „Wir wussten, dass wir ihn auf dem Track haben wollten, und es war das erste Mal, dass wir bei einem Stray-Song clean gesungen haben.“ Direkt danach geht’s aber wie gewohnt wütend mit „Law Abiding Citizen“ weiter, den gerade langjährige Fans aufgrund des Grooves sehr gut gefallen dürften. Rage Against The Machine lässt wieder einmal Grüßen.
Wenn man dem Album überhaupt irgendwas negatives ankreiden kann, ist es, dass es ein wenig braucht, um so richtig zu zünden. Das war bei den beiden Vorgängern „Only Death Is Real“ und „Internal Atomics“ nicht der Fall und man wurde sofort gepackt und mitgenommen. „Euthanasia“ brauch hier ein paar Durchläufe, was wohl vor allem an dem düsteren Gesamtsound liegen mag, aber dann zündet das Album so richtig und man hört es in Dauerschleife.
Das Album endet mit einem wirklich fulminanten Track namens „Latter Work“, ein über sechs Minuten Epos über die verpassten Möglichkeiten, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen und man nun vor dem Scherbenhaufen steht. Dystopische Klangwände machen diesen Song zu einem perfekten Ende von „Euthanasia“. Stray From The Path haben es trotz aller Widrigkeiten wieder einmal geschafft, ein verdammt gutes Album abzuliefern, welches ihren Status als eine der wichtigsten Hardcore-Bands unserer Zeit erneut untermauert.