„Es gibt nur drei Wege, mit sich selbst umzugehen. Man kann so bleiben, wie man ist; man kann sich aus schwierigen Lebenslagen herauskämpfen; oder man kann noch tiefer hineinfallen“, erklärt Tim Vantol. Genauso schnörkellos lassen sich drei Wege im Umgang mit „Better Days“, dem neuesten Album des Wahl-Berchtesgadeners, beschreiben: Man muss genau zuhören und sowohl in und zwischen den Zeilen lesen; man muss es leise, aber vor allem laut hören und man sollte sich erlauben, bitterlich zu weinen und laut, mit der Faust in der Luft für sich einstehend, mitzusingen.
„…dann braucht man sie, all diese Kalendersprüche, diese Durchhalteparolen oder einfach diese eigene Stärke und das Vertrauen in sich selbst, um sich davor zu schützen, nicht in tausend Teile zu zerspringen.“
Es ist nicht alles nur Dur
Die 10-Song starke Platte geht mitten ins Herz und trifft bei (sehr sicher) jedem Hörenden einen Punkt, der den Blick in den Spiegel nicht verhindern lässt. Während sich Selbsterkenntnis und vielleicht sogar Wahrheit dann nicht mehr leugnen lassen, legt sich die Stimme des charismatischen Sängers, wie eine alte Vertraute, auf die eigene Schulter und vermittelt ein Gefühl von „Alles wird gut, halte durch!“. Damit erspielt sich Vantol vielleicht das aufrichtigste Rockalbum in diesem besonderen Jahr.
Die Melodien und Lyrics sind ein bisschen, wie das ganz normale Leben. Es ist ganz eindeutig nicht alles nur Dur und manchmal verhüllen wunderschöne, aber auch tieftraurige Melodien ganz konträre Inhalte. Eröffnet wird das Album mit der selbstbestärkenden Aussage „I don’t want to be part of this no more“ und so wird „No More“ zur Kampfansage gegen die eigenen Dämonen, an denen sich Tim Vantol auf „Better Days“ abarbeitet; sie aber auch ziehen lässt. Dass die aktuelle Platte eine Art Neuanfang mit dem eigenen inneren Ich beschreibt, lässt sich neben der Musik auch in das Artwork hinein interpretieren. Es ist das erste Mal, dass Tim Vantol so prominent und zentral das eigene Cover schmückt.
Die berühmte zweite Chance
„Tell Them“ ist ein Abbild unserer verängstigten Gesellschaft, der es scheinbar am schwersten fällt, einem Gegenüber zu sagen, wie wichtig, schön oder bedeutungsvoll, wenn nicht sogar besonders es ist. Tempo nimmt dann der Titelsong auf und bringt einen gewissen thematischen Bruch mit sich. Bestes Revival-Tour Material! Bei „A River Full Of Reasons“sieht man Tim deutlich mit seiner Gitarre durch ein Publikum gehen und den so wichtigen und uns alle betreffenden Inhalt in die Menge zu schreien: „Probier mal was anderes! Du wirst erstaunt sein, womit diese Welt auf Dich wartet, wenn Du Deine Scheuklappen ablegst.“
Diese Platte muss nicht wie seine Vorgänger kämpfen. „Better Days“ ist ein Gewinn an persönlicher Stärke, Reflexion und Lebensgefühl. Dabei geht es auch darum zu verzeihen – sich selbst und den Umständen, denn auch eine zweite Chance darf durchaus als menschliche Stärke und somit maximalem Gewinn bezeichnet werden.
So verdammt persönliche Alben haben leider oft einen dezenten Hang zur Kalenderspruchdichte, bei stets blauem Himmel und einem streighten Blick in die wohlgesonnene Zukunft, die ganz klare Durchhalteparolen wie „You will never gonna get me down!“ oder „What doesn’t kill you makes you stronger“ benötigt. Und wenn das auf den ersten Blick ein wenig überspitzt klingt, darf all das im Gesamtwerk dieses Albums trotzdem definitiv und undiskutiert sein. „Better Days“ legt den Fokus auf die unterschiedlichen Systeme, in denen wir leben und deren Justierung ein klares Muss in Sachen persönlicher Frieden uns Selbstakzeptanz ist. Tim Vantol zog dafür an den Fuß der Alpen. Und irgendwie stimmt es dann ja auch. Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Denn nur, weil man sich für den Moment mal ganz gut aufgestellt fühlt, bedeutet es nicht automatisch, dass es nie wieder wehtun wird.
Es wird weh tun, immer mal wieder
Tims Schlussplädoyer greift genau das auf. Es wird weh tun, immer mal wieder. Mal mehr und mal weniger und weh tun kann alles. Ein gebrochenes Versprechen, eine selbstgemachte Enttäuschung, ein verklärter Blick, verlassen zu werden oder zu vermissen. Und manchmal, da fühlt es sich an, als wäre ein Stück unseres Herzen herausgerissen worden, als wäre man kein vollständiger Mensch mehr, weil die Kombination aus Vermissen und Schmerz vielleicht eines dieser Gefühlspärchen ist, das sich am Allerschlimmsten anfühlt. Dann braucht man sie, all diese Kalendersprüche, diese Durchhalteparolen oder einfach diese eigene Stärke und das Vertrauen in sich selbst, um sich davor zu schützen, nicht in tausend Teile zu zerspringen.