Freitagabend in Hamburg. Es nieselt, ist weder richtig kalt noch sonderlich warm und zwischendurch weht ein unangenehm kalter Wind. Ganz normaler norddeutscher „Winter“ also. An diesem unwirtlichen Abend zieht es viele Fans der härteren Musik und des gepflegten Ausrastens in die Sporthalle. Hier feiern die Briten Architects heute gemeinsam mit Beartooth und Polaris den Abschluss ihrer „Holy Hell“-Tour, mit der sie seit Anfang Dezember 2018 unterwegs sind. Heute Abend ist nicht nur der letzte Tag dieser gemeinsamen Reise, bevor es demnächst in den USA mit anderem Support weitergeht, sondern auch die größte Headliner Show, die Architects bisher in Europa – außerhalb von London – gespielt haben. Es verspricht also ein spannender Abend zu werden.
„…and I know that everything that we have done, moving forward as a band with our music, is everything that he would want, so… thank you.“
Hochstimmung im Saal bei Polaris
Um 19.00 Uhr, anderthalb Stunden nach Einlass-Beginn, verdunkelt sich die schon jetzt gut besuchte Sporthalle. In blaues Licht getaucht betreten Polaris die Bühne und ernten sogleich lauten Applaus. Ohne große Worte und mit dem Titel „The Remedy“ vom Debütalbum „The Mortal Coil“ eröffnen sie ihr Set. Direkt herrscht Hochstimmung im Saal und der Textsicherheit und Kleiderordnung des Publikums nach zu urteilen, haben sich die fünf Australier schon jetzt in das eine oder andere Fan-Herz geschlichen. Bestärkt wird dieser Eindruck von dem kleinen Circle Pit, der sich bei „Casualty“ – dem zweiten Song des Abends – vor der Bühne bildet. Wer sich daran nicht beteiligt, der klatscht wenigstens mit.
„Thank you so much for coming early tonight!“
Die euphorische Laune der Menge überträgt sich ohne weiteres auf die Bühne, wo die Band sichtlich ihren Spaß hat. Immer wieder ist Frontmann und Sänger Jamie Hails am Lächeln und grinsen – wenn er nicht gerade mit Headbangen beschäftigt ist. „Thank you so much for coming early tonight!“, bedankt er sich im Namen von Polaris und fordert die Menge auf, ihre Handylichter anzumachen. So wird die Halle bei „Crooked Path“ zum Lichtermeer – dabei findet sich das Leuchten auch in den Augen der Band wieder, die heute Abend zum Tourabschluss ebenfalls nochmal alle Reserven zu verbrauchen scheint. „Massive thanks for this is a dream come true – playing with bands we looked up to.“, strahlt der Sänger, als er sich auch beim Headliner bedankt. Nach weiteren Pits und einer Wall of Death verabschieden sich die fünf schließlich wieder. „A band that you’re gonna fall in love with.“ – wie Architects-Sänger Sam Carter später erklärt – und den Gesichtern nach zu urteilen soll er damit Recht behalten.
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Beartooth sorgen souverän dafür, dass die gute Stimmung in der Sporthalle aufrechterhalten bleibt
Nach einer kurzen Umbaupause, in der das orangene Banner von Beartooth zum Vorschein kommt, hüllt sich die Bühne in eben diese Farbe. Ebenfalls ohne große Worte, aber mit umso mehr Energie, hauen Beartooth in die Seiten und eröffnen ihren Teil mit „Bad Listener“, einem Track vom aktuellen Album „Disease“.
„We fucking love you Hamburg!“
Die Stimmung schwappt direkt aufs Publikum über, während Sänger Caleb Shomo auf der Bühne herumspringt und immer wieder das Mikrofon in die Höhe hält. Was beim ersten Song noch Fan-Sache war, ist spätestens beim zweiten allgemeine Pflicht: „Aggressive“ wird von der immer größer werdenden Menschenmenge laut mitgesungen, sodass der Sänger kurze Parts sogar auslässt, um das Publikum mit einzubeziehen. Die Setlist besteht gleichermaßen aus neuen und alten Werken, so finden auch „Klassiker“ wie „The Lines“ und „In Between“ ihren Platz. Letzteres wird im Laufe des Abends überall in der Sporthalle immer wieder angestimmt.
Beartooth sorgen souverän dafür, dass die gute Stimmung in der Sporthalle aufrechterhalten bleibt und laden ebenso wie ihre Vorgänger zum Singen, Moshen und Springen ein, wobei sie sich selbst nicht ausschließen. Denn auch auf der Bühne geht es – ganz im Sinne der Vorbildfunktion – sportlich zu. Schließlich geht es nach „Body Bag“ und reger Publikumsbeteiligung bei den Worten „My life – my decision!“ mit „Disease“ schließlich zu Ende. Das dabei noch einmal alles gegeben wird. steht wohl außer Frage. „We have been Beartooth and we fucking love you Hamburg!“, verkündet Shomo ehe das Quintett aus Columbus nach einer energiegeladenen Dreiviertelstunde die Bühne verlässt und etwas Zeit gibt, um für den Headliner noch einmal Energie zu sammeln.
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Konfetti, Gesänge aus vollem Herzen und eine kurz andächtig stille Alsterdorfer Sporthalle
Um 21.00 Uhr verdunkelt sich die Sporthalle ein letztes Mal. Das Intro von „Death Is Not Defeat“ schallt aus den Lautsprechern und Architects betreten unter tosendem Applaus das Parkett. Kurz vor den ersten Lines, schießt silbernes Konfetti aus den Rohren und rieselt im blauen Licht der Bühne funkelnd auf die Menge nieder.
„This is the biggest headline show we’ve ever done outside of London, so thank you so fucking much for being here!“
Von erster Sekunde an gibt es auch hier kein Halten mehr, obgleich sich das bei den Architects vor allem darin äußert, dass insbesondere die ersten Reihen aus vollem Herzen mitsingen. Ein Pit entsteht ganz natürlich nebenbei. Auch auf den Rängen wird mit dem Kopf genickt, gestampft und gesungen. Mit einem kurzen, sprachlosen Lächeln des Sängers geht es beinahe nahtlos mit „Modern Misery“ weiter. Dabei huschen immer wieder atmosphärisch Bilder über die im Hintergrund aufgebaute Leinwand, die – gemeinsam mit der vor allem bläulichen Lichtshow – dem Raum eine ganz besondere Stimmung verleihen.
Mit „Nihilist“ schleicht sich ein erster früherer Song in die „Holy Hell“-Setlist, der ungebrochen laut mitgesungen wird. „This is the biggest headline show we’ve ever done outside of London, so thank you so fucking much for being here!“ meldet sich Sam Carter schließlich zu Wort, ehe mit „Holy Hell“ der namensgebende Song für Tour und Album angespielt wird. Auf den Gängen außerhalb des Konzertsaals finden sich mittlerweile nur noch vereinzelt Leute – einzig der Raucherbereich weist noch eine Hand voll Menschen auf, die sich nach Beendigung einer kurzen Zigarettenpause ebenfalls wieder schleunigst unter die Menge mischen.
„Thank you for making us always feel so fucking welcome in your country, this is absolutely mind blowing.“ bedankt sich ein etwas atemloser Sänger und kündigt gleichzeitig „Downfall“ an. Dazu sind wieder Handylichter und Feuerzeuge in der Höhe und der Raum wird vor dem Intro kurz andächtig still.
„Are you gonna give me everything you’ve fucking got?!“
„Naysayer“ ist das einzige Wort, das fällt, bevor eben dieser Titel angespielt wird und die Stimmung in der Sporthalle wieder hochkochen lässt. Über die Leinwand im Hintergrund der Bühne laufen dabei Mandalas, wie sie auch im Musikvideo des Titels zu finden sind.
„Are you gonna give me everything you’ve fucking got?!“, fragt Carter das Publikum, das in jeder Unterbrechung seiner Sätze laut „Architects!“ jubelt. Zu „These Colours Don’t Run“ verwandelt sich beinahe die gesamte vordere Hälfte der Halle in einen riesigen Circle Pit, den das Venue so sicher nicht alle Tage zu sehen bekommt.
Anschließend bedankt sich der Sänger noch einmal in aller Form bei Beartooth und Polaris und kündigt im selben Atemzug „A Match Made In Heaven“ an. Zwischen den Songs fallen auch immer wieder Danksagungen an das Publikum, bei denen die Band teilweise in Erinnerungen zu schwelgen scheint. Nach über zehn Jahren internationaler Tourgeschichte durchaus nachvollziehbarer. Umso sympathischer macht es die Briten, dass es ihnen auch nach all der Zeit noch gelegentlich schwerfällt, die richtigen Worte zu finden. Schließlich wird es wieder dunkel, nur die runde Leinwand im Hintergrund, auf der nun ein Mond zu sehen ist, erleuchtet die Bühne. Dazu gibt es einen Auszug aus „Memento Mori“ zu hören, nach dem Architects sich ohne große Worte verabschieden – natürlich nur für kurz.
Tom Searle wird immer ein Teil der Architects bleiben
Die Zugabe beweist: Selbst ohne ewig viele Worte und Erwähnungen – Tom Searle ist und wird immer ein Teil der Band bleiben. „Gone With The Wind“ lässt die Stimmung in der Halle auf eindrucksvolle Weise umschlagen. Obwohl es immer noch Crowdsurfer gibt, wird diese Gelegenheit nun genutzt, um Flaggen hochzuhalten, auf denen „For Tom Forever“ zu lesen ist. Ein Blick auf die Leinwand zeigt ein Herz mit den Initialen „T//S“ und macht unmissverständlich klar, in wessen Gedenken dieses Lied gespielt wird. Nach den letzten Tönen ist auch aus dem Publikum laut „Tom!“ zu hören, wofür es von der Bühne sichtlich gerührten Applaus gibt.
„Thank you for making this such an amazing way to end this tour.“
„I wish more than anything in the whole world that Tom could be here this evening and see this and to see what he’s created. He would not fucking believe it, so thank you so much.“ erklärt der Sänger anschließend etwas ruhiger, als bei seinen anderen Ansagen. „And I know that everything that we have done moving forward as a band with our music is everything that he would want so thank you.“, fährt er fort und stellt anschließend noch einmal die Band vor. Dabei betont er auch, dass Josh Middleton, der sich selbst gelegentlich scherzhaft als „new guy“ bezeichnet, für niemanden ein Ersatz ist und ebenso wie alle anderen Mitglieder fest zu Architects gehört.
Ein paar ganz besondere Worte fallen dabei für Dan Searle – ohne den es die Band in dieser Form sicher nicht mehr gäbe. „But without Dan we wouldn’t be a band and we wouldn’t have done this record, so scream as loud as you can for Dan fucking Searle!“, ist das Letzte, was Carter von den Besuchern fordert. „Thank you for making this such an amazing way to end this tour.“, sagt er mit einer Verbeugung und kündigt „Doomsday“ an, wonach die Band ohne weiteren Kommentar die Bühne verlässt. Einzig der Schlagzeuger schlendert noch über das Podest, wirft seine Sticks in die Menge und applaudiert lächelnd dem Publikum, das um 22.30 Uhr nach einem gelungenen (Tour-) Abschluss schließlich langsam in Richtung Ausgang verschwindet.