Giver veröffentlichten am 24. Februar das Album „Sculpture Of Violence“. In unserem Interview sprechen wir mit Ben & Chris der in Deutschland zerstreute Melodic-Hardcore-Band über das neue Album, politische Ansichten, das Tourleben und mehr. Wenn Ihr wissen wollt, ab wann eine Hardcoreband eine richtige Hardcore Band ist und warum es dringend engagierte Menschen braucht, empfehlen wir Euch Eure nächsten Minuten unserem Interview zu widmen.
„Wir brauchen Menschen, die sich anti-faschistisch engagieren“
Grüßt Euch und vielen Dank, dass Ihr Euch die Zeit für unser nehmt. Euer neues Album „Sculpture Of Violence“ erschien am 07. Februar. Wie zufrieden seid Ihr mit der Platte und würdet Ihr heute, mit ein bisschen Abstand, etwas verändern?
Ben: Darüber haben wir bislang noch nicht so wirklich gesprochen oder nachgedacht, denke ich. Aber die Platte ist ja auch gerade erst raus. Die Zufriedenheit mit den Songs hat sich bei uns allen im Laufe des Aufnahmeprozesses eher gesteigert und wir haben alle nochmal unsere persönlichen Favoriten oder „Nicht-Favoriten“ gefunden. Wenn wir Dinge ändern würden wollen, wären es wahrscheinlich Kleinigkeiten!
Wo seht Ihr Unterschiede zwischen dem neuen Album und Eurem Debüt?
Ben: Ich denke, der liegt vor allem im Sound und Songwriting. Wir haben auf „Sculpture Of Violence“ einfach ein bisschen mehr „unseren Sound“ gefunden und uns ein bisschen mehr von Vorbildern und Einflüssen entfernt, bzw. diese ein Stück besser verstanden und anders genutzt, als vorher. Der ganze Prozess war deutlich offener. Die Songs fühlen sich für uns auf jeden Fall alle ein bisschen deutlicher nach „uns“ an. Ein weiterer Aspekt der für uns als Band dieses Mal sehr wichtig war bzw. ist und den wir hier stärker versucht haben zu betonen, ist das „Gesamtprojekt“. Wir wollten, dass alles was im Kontext dieser Songs stattfindet (Artwork, Videos, Lyrics, Live-Show) einen eigenständigen und produktiven Aspekt zu einem großen Ganzen beiträgt. Ein Video sollte mehr als nur ein Video zum Song sein, sondern etwas, was eine neue Ebene hinzufügt. Ob wir das immer geschafft haben weiß ich nicht genau, aber das war uns jedenfalls wichtig bei allem, was wir gemacht haben, haha.
Könnt Ihr uns etwas zum Entstehungsprozess erzählen? Welche Themen beschäftigen Euch?
Ben: Die ersten Songskizzen sind bereits kurz nach den Aufnahmen von „Where The Cycle Breaks“ entstanden, andere erst 1-2 Wochen vor der Studiozeit für das neue Album. Insgesamt haben wir immer mal wieder über den Zeitraum von gut anderthalb Jahren im Proberaum oder WG-Wohnzimmer an Songideen gearbeitet, viel wieder verworfen, überdacht, recycelt und neu zusammengesetzt. Da hat meistens jemand eine Idee oder auch mal einen ganzen Song fertig an denen wir dann gewerkelt haben. Wichtig waren dann immer die Demos, die wir im Vorfeld selbst aufgenommen haben, um einen Eindruck vom ganzen Song zu kriegen. Vor allem auch, damit Robert sich da etwas drunter vorstellen kann. Der wohnt nämlich in Dresden und kann nur selten mit uns proben. Thematisch und inhaltlich haben vor allem Chris (Bass/Vocals) und Robert (Vocals) gearbeitet und die Lyrics zu den Songs geschrieben.
„Wir setzten uns auf „Sculpture Of Violence“ viel mit Identität und ihren Grenzen auseinander und sprechen über die moralische Zerrissenheit, die das Leben im Kapitalismus mit sich bringt – versuchen aber auch Lösungen dafür zu finden“
Chris: Ich denke lyrisch spiegelt sich auf der Platte vor allem wider, dass wir uns alle im Laufe der letzten Jahre immer kritischer mit der Welt in der wir leben und unserer eigenen Rolle in ihr auseinandergesetzt haben. Nicht zuletzt durch die vielen Erfahrungen, die wir mit der Band gemacht haben und durch Leute, die wir durchs Musikmachen und In-Einer-Subkultur-Sein kennengelernt haben. Wir setzten uns auf „Sculpture Of Violence“ viel mit Identität und ihren Grenzen auseinander und sprechen über die moralische Zerrissenheit, die das Leben im Kapitalismus mit sich bringt – versuchen aber auch Lösungen dafür zu finden und dazu zu ermutigen, sich für eine freie und gerechte Gesellschaft einzusetzen und politisch zu sein. Konkret haben wir Songs über Themen wie die Ausbeutung des globalen Südens, die extreme Rechte aber auch über Maskulinität und unserer Rolle als fünf weißer Dudes, die zusammen Musik machen, geschrieben.
Wie waren die Resonanzen in Eurem Umfeld? Gab es auch Kritik?
Chris: Bislang haben wir das Gefühl, dass die Platte ziemlich gut bei den meisten Leuten ankam. Die Reaktionen und Nachrichten auf den sozialen Medien waren ziemlich cool, so weit ich das beurteilen kann. Über Reviews können wir uns auch nicht beschweren. In unserem näheren Freundeskreis-Umfeld gibt es allerdings auch viele Leute, die keinen Hardcore hören. Die sind dann vielleicht nicht vom Hocker gehauen von dem Album, aber können immerhin respektieren, dass wir da viel Zeit und Herzblut reinstecken und kommen trotzdem mal auf eine Show, wenn wir zu Hause spielen.
Im März spielt Ihr einige Shows, überwiegend in Deutschland, mit Employed To Serve. Wie wichtig sind Live-Shows für Euch? Gibt es eine besondere Vorfreude?
Ben: Wir sprechen eigentlich konstant nur darüber, dass wir endlich wieder Shows spielen wollen, haha. Wahrscheinlich gab es kein Zusammenkommen innerhalb der letzten Monate, an dem nicht jemand etwas in die Richtung gesagt hätte. Ich denke, Shows sind für uns einfach der Hauptfokus und Grund, warum wir das alles machen. Dabei geht es dann natürlich auch um die sozialen Aspekte. Miteinander unterwegs sein, Leute treffen, die weit weg wohnen und die man lange nicht gesehen hat, viele verschiedene Bands sehen und Läden kennenlernen.
Chris: Ich freue mich sehr auf das 2000 Trees Fest in England, wo wir im Juli spielen. Mal ein größeres Festival in UK spielen ist schon etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass wir das mal machen werden.
„Es kann sich einfach sehr gut anfühlen ein paar Tage hintereinander unterwegs zu sein und sich nur um diese Band und umeinander zu kümmern“
Was ist für Euch das Besondere am Touren?
Ben: Neben dem bereits Gesagten ist am Touren für uns vor allem das Abtauchen wichtig, denke ich. Ich hoffe, ich spreche da für alle, aber es kann sich einfach sehr gut anfühlen ein paar Tage hintereinander unterwegs zu sein und sich nur um diese Band und umeinander zu kümmern. Die vielen verschiedenen Dinge die einen so im Alltag beschäftigen sind dann mal auf Stand-By.
In Eurer Musik steckt viel Gesellschaftskritik. Ihr prangert an und bezieht konkret Stellung. Was sind momentan, Eurer Meinung nach, die größten Missstände? Was nervt Euch am meisten?
Chris: Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, in der das kapitalistische System, was unser aller Sein und Werden bestimmt, langsam an seine Grenzen stößt. Die drohende Klimakatastrophe, der auf der ganzen Welt wahrzunehmende Rechtsruck, immer unkontrollierbar werdende Großkonzerne und eine handlungsunfähige Realpolitik, sind deutliche Warnsignale dafür. Mich persönlich „nervt“ bzw. mich macht wütend zu wissen, dass wir hier als weiße Deutsche (Männer) in Europa in einer so krassen Blase des Überflusses und der Möglichkeiten leben, dass es uns überhaupt noch schwerfällt, Dinge wirklich wertzuschätzen oder uns zwischen all den verlockenden Optionen entscheiden zu können. Zu wissen, dass das alles auf dem Rücken von Arbeiter*innen in Ländern des globalen Südens und zukünftigen Generationen geschieht, macht mich oft sauer, aber auch traurig.
Wir sind halt alle Teil des Systems und auszubrechen ist sehr schwer. Ich denke, es ist trotzdem unser aller Pflicht hier, nicht in Ohnmacht zu verfallen und daran zu arbeiten, dass die Lage nicht noch brenzliger wird und wir von oben zuschauen, wie das Kartenhaus in sich zusammenfällt. Wir brauchen Menschen, die sich anti-faschistisch engagieren, weil Regierungen, wie die in Brasilien und Amerika, die Klimakrise 2020 noch weiter befeuern. Wir brauchen Menschen, die sich anti-rassistisch engagieren, weil Europa seine Grenzen in Zukunft noch höher wachsen lassen wird, wenn wir unsere Solidarität nicht täglich ausbauen.
Wir brauchen Menschen, die sich anti-kapitalistisch engagieren, weil ein System, was auf endlosem Wachstum beruht, keine planetaren Grenzen kennt und wir brauchen Menschen, die sich feministisch engagieren, weil Frauen und FLINT* Personen weltweit von allen Problemen, die es hervorbringt, stärker betroffen sind.
Ihr wurdet in der Vergangenheit immer mal wieder mit Bands wie Have Heart, Modern Life Is War oder Defeater verglichen. Welche Bands haben Euch wirklich geprägt?
Chris: In den ersten Jahren als Band, haben uns Bands wie Have Heart, Bane, Verse, Comeback Kid oder MLIW definitiv sehr stark geprägt. Gerade in letzter Zeit hören die meisten von uns aber auch sehr gerne düstere, Metal oder Screamo-lastigere Bands, wie Converge, Birds In Row, Oathbreaker, Russian Circles, Grave Pleasures oder Gouge Away. Aber auch Punkbands wie Strike Anywhere, Deutsche Laichen oder Petrol Girls laufen mal im Van. Ich denke, dass auch diese Veränderung einen Einfluss auf unser Songwriting gehabt hat.
„Wenn eine Hardcoreband nicht mindestens zur Hälfte aus Sozialarbeiter*innen und Lehrer*innen besteht, ist sie dann überhaupt eine Hardcoreband?“
Was macht Ihr außerhalb der Band? Womit verdient Ihr Eure Brötchen?
Ben: Die meisten von uns studieren noch in den letzten Zügen und arbeiten nebenbei. Ich arbeite als Klavierlehrer und sonst gibt’s bei uns Schulbegleiter, Verlagsarbeit, Arbeit in einem Wohnheim und im Jugendamt. In ein paar Jahren werden drei von uns dann wahrscheinlich Lehrer sein, haha.
Chris: Wenn eine Hardcoreband nicht mindestens zur Hälfte aus Sozialarbeiter*innen und Lehrer*innen besteht, ist sie dann überhaupt eine Hardcoreband? Ansonsten veranstalten wir auch selbst Shows hier in Köln und sind in verschiedenen politischen Kontexten, je nach individueller Zeit- und Lebenslage, aktiv.
Danke für das Interview. Das letzte Wort habt Ihr, tobt Euch aus!
Chris: Checkt mal die folgenden Dates:
08.03.: Frauen*streik (gibt auch einen all-gender Block in jeder Stadt)
24.04.: nächster Großstreik von Fridays For Future
08.08.: Ende Gelände Aktion im rheinischen Revier.
Die Politik tanzt 2020 ja immer noch selbstverliebt nach Lobbyinteressen und schließt in Datteln ein neues Kraftwerk ans Netz statt einen konsequenten Kohleausstieg auf den Weg zu bringen. Dieser bleibt scheinbar Handarbeit.