Bernhard Horn von Callejon im Interview

Callejon
Foto: Pressefreigabe

Was steckt hinter dem Begriff „Fandigo“ (Review) und was sagt er für Euch aus?

Fandigo ist eine Zusammensetzung aus den Worten „Fan“ und „Wendigo“. Der Wendigo ist in einigen Kulturen der nordamerikanischen Ureinwohner eine mythologische Figur, ähnlich dem europäischen Werwolf. Demnach geht, wenn man das Fleisch eines andere Menschen isst, dessen Stärke auf einen über, aber gleichzeitig wird man dadurch zum Wendigo – man ist verflucht und vom ewigen Hunger nach Menschenfleisch getrieben. Wir haben uns für diesen Titel entschieden, weil wir es spannender fanden, einen eigens erdachten Begriff zu verwenden. Außerdem stecken in der Verbindung von „Fan“ und „Wendigo“ viele Bezüge, um die es inhaltlich auf diesem Album geht: Rausch, Ekstase, Besessenheit, die Sehnsucht nach innerem Frieden und die Verzweiflung an der Welt, die diesen nicht zulässt.

Was hatte es mit #callejonisdead auf sich? Sollte dies der Vorbote des neuen Stils sein oder auch bewusst die Gemüter der Fans erregen?

„Callejon is Dead“ war einer der ersten Songs, die für das neue Album entstanden sind, und auch ziemlich der Anfangspunkt unserer musikalischen Entwicklung, die man auf diesem Album hört.
Es ist kein Geheimnis, der Titel sagt es ja schon – es geht bei dem Song um uns, die Band Callejon, darum, dass eine Geschichte zu Ende erzählt ist und eine andere anfängt. Wir haben den Song geschrieben, als wir schon wussten, dass wir vieles anders machen wollen und müssen, aber noch nicht genau wussten, wo diese Reise hinführt. Das hört man auch ein bisschen, der Song ist quasi ein Bindeglied zwischen den vorherigen Alben und „Fandigo“ – deshalb ist er auch ein Bonustrack und nicht auf dem regulären Album.

„Wir waren ein Stück weit von uns selbst gelangweilt“

 

Wie kam es zu Eurer musikalischen Neuerfindung?

Das ist – wahrscheinlich wie bei vielen Bands oder Künstlern – Teil unserer musikalischen Entwicklung. Irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man die übliche Herangehensweise, mit der man sonst Musik geschrieben hat, einfach nicht mehr aufregend findet. Dieser Punkt ist bei uns gekommen, wir waren ein Stück weit von uns selbst gelangweilt und wussten, dass wir etwas anders machen wollen, es auch anders machen müssen, um unsere eigene Musik weiterhin gut und interessant und letzen Endes erfüllend zu finden.

Hattet Ihr Zweifel oder Angst, dass die Neuausrichtung schief gehen könnte? Habt Ihr Euch auf einen „worst case“ zumindest etwas vorbereitet?

Nein, Angst hatten wir nie. Angst blockiert einen nur und verhindert, dass man das Bestmögliche erreicht. Und natürlich wussten wir von Anfang an, dass der Sound von „Fandigo“ wahrscheinlich nicht allen Callejon-Fans – zumindest von Anfang an – zusagt. Aber wenn man Musikmachen so versteht, wie wir es verstehen, nämlich als künstlerische Herausforderung, etwas Neues und etwas Bedeutendes zu schaffen, dann kann es nicht das Kriterium sein, es allen recht zu machen.

Ich glaube, die eigene Überzeugung ist das Aufrichtigste, was man seinen Fans bieten kann. Und natürlich ist das dann auch mit Risiken verbunden, aber immer auf Nummer sicher zu gehen, macht doch eine Band nicht besser, sondern langweilig. Und nein, wir haben uns auf kein Szenario richtig vorbereitet, weil man nie genau wissen kann, wie ein Album letztendlich bei den Leuten ankommt. Aber ehrlich gesagt sind wir mit der Situation jetzt viel zufriedener, als wir es je sein könnten, wenn man einfach dasselbe Album wie vor zwei Jahren nochmal in leicht verändert gemacht hätte. Wenn man nie was riskiert, erhält man im besten Fall nur den Status Quo aufrecht. Dafür ist das Leben zu kurz und die Mühe zu schade.

Welcher Song auf dem Album bedeutet Euch persönlich sehr viel?

Das ist so, als würde man fragen: „Welches deiner Kinder ist dein Lieblingskind?“ Man liebt sie doch alle, jedes für die Eigenheiten, die es hat.

„Wie gehe ich damit um, dass ich genau beobachten kann, was alles falsch läuft, aber ich rein gar nichts dagegen ausrichten kann?“

 

Die blanke Wut von „Wir sind Angst“ ist der Melancholie und auch Ernüchterung über die Welt gewichen. Wie kam es dazu?

Eine absolut zutreffende Beobachtung, im Gegensatz zu „Wir sind Angst“ steht bei „Fandigo“ wieder mehr die Innensicht und der persönliche emotionale Bezug zur Welt im Mittelpunkt. Das ist – einfach herunter gebrochen – eigentlich auch nur eine Entwicklung, die stattgefunden hat. Bei „Wir sind Angst“ haben wir uns sehr stark mit den äußeren Faktoren für den Zustand der Gesellschaft und der Welt beschäftigt. Genau die Dinge, die im Fokus des letzten Albums standen – die von Angst, Missgunst und Egoismus bestimmte Gesellschaft – haben sich bewahrheitet und potenziert. Die Welt ist keine bessere geworden seitdem, und auf „Fandigo“ geht es sehr stark darum, wie man persönlich damit umgeht: Was ist mein Platz in der Welt? Wie gehe ich damit um, dass ich genau beobachten kann, was alles falsch läuft, aber ich rein gar nichts dagegen ausrichten kann?

Vor dem Hintergrund ist wahrscheinlich auch nachvollziehbar, warum „Fandigo“ so düster und verzweifelt klingt. In diesem Zusammenhang kann man vielleicht doch einen Song des Albums besonders hervorheben, nämlich „Das gelebte Nichts“. Dieser Track beinhaltet exakt diese Form der Resignation und der absoluten Ohnmacht gegenüber den Dingen, die einem leider – oder zum Glück – niemals egal sein werden.

Nach 15 Jahren Bandgeschichte: Was war Euer coolstes Erlebnis? Und gab es auch etwas, auf das Ihr nur ungern zurückblickt?

Es gibt natürlich einige Erfolge, über die wir uns extrem gefreut haben. Aber ich glaube, es existiert nicht dieses eine Erlebnis, an dem man alles festmachen kann. Wenn, dann gibt es eine Erfahrung, die sich durch die ganze Bandgeschichte zieht. Und die ist, dass es eben doch viele Menschen gibt, denen die Musik, die wir machen, extrem viel bedeutet. Von vielen Fans haben wir Feedback bekommen, dass Callejon etwas in ihnen bewegt hat. Ihnen über schwere Zeiten oder schreckliche Erfahrungen hinweggeholfen hat. Ihr Leben beeinflusst hat – etwas krasseres kann man, finde ich, als Künstler nicht erreichen. Egal, ob man eine Million Platten verkauft oder nur zwanzig. Wenn ich auf die Bühne gehe und diese Leute sehe, die jeden Song mitsingen, in deren Augen ich sehen kann, dass das, was gerade passiert, echt ist, dann weiß ich, warum ich Musik mache.

Was darf man in Zukunft von Euch erwarten?

Erstmal werden wir im September mit Papa Roach und Frank Carter & The Rattlesnakes auf Tour gehen – wir freuen uns unfassbar auf diese Tour! Und ansonsten darf man erwarten, dass wir nicht aufhören, Musik zu machen, solange wir ein Instrument halten können und etwas zu sagen haben.

 

Video: Callejon – Noch einmal