Harley Flanagan von Cro-Mags im Interview

Cro-Mags
Foto: Fernando Godoy

In The Beginning“ ist ein Neubeginn und eine Besinnung auf alte Stärken im gleichen Maße. Es ist das erste Cro-Mags Album seit zwanzig Jahren, mit Gründungsmitglied Harley Flanagan am Gesang und Bass. Nach jahrelangen Rechtstreits um das Vermächtnis der Cro-Mags einigten sich die Parteien außergerichtlich und Harley Flanagan gewann 2019 den Anspruch auf den Bandnamen und dessen Namensrechte. Noch im selben Jahr erschien mit der drei Song starken EP „Don’t Give In“ ein erstes Lebenszeichen der Band.

„Es fühlt sich großartig an wieder Musik unter dem Namen Cro-Mags zu veröffentlichen.“

beginnt Flanagan. „Scheiße man, stell Dir vor, Du hast Deinen Namen verloren. Stell Dir vor da draußen rennt jemand mit Deinem Namen durch die Gegend und Du willst arbeiten gehen, aber der Typ sitzt jetzt an Deinem Arbeitsplatz. Der Typ kriegt Deine Post und reißt sich alles unter den Nagel, was Dir gehört hat. Es fühlt sich gerade an, als hätte ich es mir hart erkämpft, wieder ich selbst zu sein und unter meinem eigenen Namen bekannt zu sein“.

Nach eigener Aussage ist Harley Flanagan in seinen Fünfzigern mental, spirituell und physisch in der besten Verfassung seines Lebens. „Wenn ich Dir den Trick dahinter nennen könnte, wäre ich wahrscheinlich Millionär. Ich denke ich habe einfach eine Menge Glück und gute Gene. Ich bin sehr dankbar für mein Leben und hatte jetzt eine sehr lange Auszeit. Ich habe mich sehr auf Jiu Jitsu konzentriert, ich bin zwei Mal Vater geworden. Das ist ein sehr viel cleaneres Leben. Kein Touren, kein Alkohol – ich denke das hat mir eine ganze Menge Lebenszeit gutgemacht. Auch wenn es gut getan hat eine Auszeit zu nehmen, habe ich nie aufgehört, Musik zu schreiben. Ich meine, ich habe jetzt schon wieder 60 Musikstücke geschrieben, die ich auch bald im Studio aufnehmen will. Alles in allem bin ich gerade an einem sehr schönen Punkt in meinem Leben“.

Das neue Album „In The Beginning“ vereint eine Menge alter Stärken mit neuen, kreativen Ideen. Es ist sozusagen die Kombination aus dem alten Spirit und neu erlangter Erkenntnisse. Das Beste aus Vergangenheit und Gegenwart. „Ich will mit diesem Album zeigen, wo ich herkomme und was ich alles gelernt habe, seit mein Leben dort begonnen hat“.

Der Dresscode des Hardcores

Dabei sind ihm laut eigener Aussage die gängigen Hardcoreregeln egal. „Für mich ist Hardcore sehr generisch. Es gibt etwas, wie eine Formel die dieser Musik sehr oft zugrunde liegt, sowas wie ein Dresscode und eine Art sich zu benehmen. Wenn Du Dir die erste Generation der Hardcorebands anschaust, wirst Du feststellen, dass keine zwei Bands gleich klingen. Damals gab es noch kein Regelwerk für diese Musik, man bekam also seine Inspiration von überall her. Jede Band hatte ihren eigenen Stil und Sound. Black Flag haben sich nicht wie Circle Jerks angehört und die sich nicht wie Minor Threat. Die zweite und dritte Hardcoregeneration ist da weitaus vorhersehbarer. Irgendwie haben sich Regeln für alle Bereiche eingeschlichen und so wurde ein großer Teil dieser Musik für mich schnell uninteressant. Ich meine das alles nicht respektlos, es catcht mich nur alles einfach nicht. Ich liebe noch immer Pink Floyd und Black Sabbath. Ich höre ab und an sogar R’n’B oder mongolische Kehlengesänge. Im Hintergrund hörst Du Miles Davis. Für mich war es über die letzten Jahre immer sehr uninteressant, neue Hardcorebands auszuchecken. Ein großer Grund dafür ist auch, dass ich nicht will, dass sich diese Bands langsam in mein Unterbewusstsein schleichen und damit meine eigene Musik mit ihrem Stil verwässern. Das ist mir zum Beispiel mit Bodycount passiert. Ich habe sie rauf und runter gehört und irgendwann schrieb ich einen Song und dachte mir „Fuck, das hört sich nach Bodycount an“. Ich habe sogar mit den Jungs darüber gesprochen und dann meinten sie, das alles sei kein Problem, da ihre Musik stark von meiner eigenen beeinflusst sei“.

Auf „From The Grave“ featuren Cro-Mags Phil Campbell von Motörhead. Für Harley Flanagan ein wahr gewordener Traum. „Motörhead waren schon immer eine sehr große Inspiration für mich und das meine ich nicht nur im musikalischen Sinne. Ich habe mit Lemmy Crystal Meth geraucht, da war ich 15. Ich war mit ihnen auf Tour. Das war damals die „Orgasmatron“-Tour. Lemmy ist mir sogar vor einiger Zeit im Traum erschienen und hat mir gesagt, ich solle mir den Bandnamen wiederholen. Er sagte „Hol ihn Dir zurück. Du hast die Band gegründet“. Na ja und Phil ist einer meiner absoluten Lieblingsgitarristen und wer wenn nicht ich wäre cool genug, um ihn zu fragen, haha. Phil wollte nicht mal bezahlt werden dafür. Er hat es einfach getan, weil er unsere Musik mag“.

„Wenn ich den Geruch meiner Nachbarschaft auf Platte pressen könnte, dann hätte ich das schon längst gemacht.“

Aber mit wem will man noch zusammenarbeiten, wenn man Phil Campbell auf der neuen Platte involviert hat? Vielleicht mit Tarantino als Regisseur für ein Musikvideo? „Das ist eine verdammt gute Idee! Das lasse ich mal sacken und versuche es umzusetzen haha. Mir fallen aber noch einhundert weitere Personen ein mit denen ich gerne mal arbeiten würde. Ich denke da an Glenn Danzig, Phil Anselmo und Mike Patton“.

„In The Beginning“ ist durchzogen von Samples, die Harley mit seinem Handy in seiner Nachbarschaft aufnahm. Darunter unter anderem die Klänge einer Parade, die unter seinem Fenster durch die Stadt marschierte auf „One Bad Decision“ und der Anruf eines Freundes aus dem Gefängnis als Intro für „2 Hours“. Harley erklärt mir, warum er sich für diese Samples entschied: „Ich denke einfach, sie machen das Album interessanter. Ich meine, ich liebe Pink Floyd zum Beispiel sehr für ihre Samples. Ich bringe dadurch den Hörer mehr und mehr in mein unmittelbares Umfeld. So hören sich die Straßen an, die ich täglich entlanglaufe, so hört sich mein Weg zur Arbeit an. Wenn ich den Geruch meiner Nachbarschaft auf Platte pressen könnte, dann hätte ich das schon längst gemacht. New York ist in all meinen Werken ein eigener Charakter. Die Stadt hat mich zu dem gemacht, was ich bin“.

Das für mich interessanteste Sample findet sich auf dem Track „No Turning Back“. Hier hört man einen Chor bestehend aus Harleys sechs bis elf Jahre alten Jiu Jitsu SchülerInnen. Aber was hat das Lehren Harley Flanagan beigebracht? „Oh ich kann Dir gar nicht aufzählen, in wie vielen Arten und Weisen das Lehren mein Leben verändert hat. Jeder der Kinder, oder Kinder in seiner unmittelbaren Umgebung hat, weiß, wie es ist, ein Lehrer zu sein. Für mich hat sich dadurch sehr viel verändert. Ich habe zuvor schon viel mit erwachsenen Schülern gearbeitet, aber die Arbeit mit Kindern bringt Dich dazu, darüber nachzudenken, wie Du Inhalte möglichst auf die simpelste Ebene herunter brichst, ohne dabei die Integrität dessen zu verlieren, was Du sagen willst. Du lernst automatisch besser zu kommunizieren. Du brauchst eine ganze Menge Geduld und Verständnis. Du musst mitfühlend und an den Kindern interessiert sein. Ich genieße das alles wirklich sehr, weil ich selbst sehr wenig Kindheit hatte. Ich bin sehr gerne ein positiver Einfluss für die Kids, vor allem nachdem ich selbst so viel Scheiße gemacht und erlebt habe. Es ist eine nette Veränderung. Ich meine, ich mache das ja jetzt auch schon über zwölf Jahre“.

„Ich habe jetzt schon über 60 neue Stücke geschrieben.“

Der Song „2 Hours“ handelt davon, zweimal nachzudenken, bevor man Konflikte mit Gewalt löst. Die Lyrics drehen sich um den Gedanken, dass man nach einer Konfrontation den Rest des Tages entweder im Knast oder zuhause bei den eigenen Kindern verbringen kann. Man selbst hat es in der Hand, ob man gewaltsam reagiert oder nicht. Angestoßen wurde dieser Gedanke von einem Anruf, den Harley aus dem Gefängnis bekam. Auf die Frage, wann der Anrufer denn wieder auf freiem Fuß sei, antwortete dieser „Definitiv nicht in zwei Stunden“. Bis auf den Refrain ist der Text im Studio vor dem Mikrofon improvisiert worden. Wie kam es dazu?

„Das war definitiv nicht geplant. Ich musste nur den Chorus aufschreiben und dann hatte ich ein paar Ideen im Kopf. Ich habe wenig nachgedacht und einfach losgelegt. Das langsame Pacing des Songs hat es mir dann erlaubt, mich durch den ganzen Inhalt zu reden. Es hat ein oder zwei Takes gedauert, dann war alles im Kasten“.

Und wie geht es mit Cro-Mags in Zukunft weiter? „Ich denke das aktuelle Album ist das progressivste bislang und ich bin sehr stolz darauf. Ich habe jetzt schon über 60 neue Stücke geschrieben und werde mich wieder mit dem Produzenten der letzten Platte zusammensetzen. Manche Texte sind sogar schon geschrieben. Dann freue ich mich natürlich sehr darauf, wieder auf Tour zu gehen und die aktuellen Sachen live zu spielen.“

Video: Cro-Mags – From The Grave


Hier erhältlich
Cro-Mags - In The Beginning AlbumcoverCro-Mags – In The Beginning
Release: 19. Juni 2020
Label: Arising Empire
Amazon Partnerprogramm Alben CD hier erhältlich