Rocklegenden leben bekanntlich länger, bezogen auf die Zeit des Bandbestehens, aber eben auch nicht ewig. Und so befinden sich KISS gerade auf ihrer weltweiten Abschiedstournee, der sogenannten „End of the Road World Tour“. Am Mittwoch, den 5. Juni macht die Band auch in Hannover auf der Expo-Plaza Halt und bringt als Support den Performance-Painter David Garibaldi mit. Und rund 15.000 begeisterte KISS-Fans sind erschienen, um bei bestem Sommerwetter den Legenden vielleicht ein letztes Mal zu huldigen. Unter den Besuchern sind einige Stars der hannoverschen Szene zu sehen und unter dem bunt gemischten Publikum tauchen, trotz drückender Hitze, immer wieder aufwendig geschminkte KISS-Gesichter auf.
„Hannover, take a look at yourself, you are so beautiful!“
Malen nach Rockmusik
Die Ankündigung, dass David Garibaldi im Vorprogramm auftreten soll, wurde vielerorts mit Verwunderung aufgenommen. Denn bei dem 36 Jahre alten Kalifornier handelt es sich um einen Performance-Künstler, der eine sogenannte Action-Painting Performance vollzieht – also keine Support im klassischen Sinne. So betritt der Maler gegen 19.45 Uhr die Bühne in Hannover, im schwarzen Outfit auf dem Farbspuren zu erkennen sind. Zu lauter Rockmusik legt er direkt los und zaubert in Windeseile ein buntes Porträt von Alice Cooper auf eine schwarze Leinwand. Zu den finalen Pinselstrichen läuft passenderweise der Song „Schools Out“ des Hardrockers.
Insgesamt malt Garibaldi in knapp 30 Minuten drei Bilder, testet zwischendurch die Lautstärke des Publikums und lässt die Hannoveraner hier und da zu den Songs vom Band auch mitsingen. Als zweites Werk entsteht ein Bild von Mick Jagger, wobei Garibaldi den Frontmann der Rolling Stones auf dem Kopf malt und erst nach Fertigstellung das Bild umdreht. Gelungen! Final entwirft der Mann mit der Glatze noch ein Bild von KISS mit allen vier Musikern, welches im Laufe des Abends für einen guten Zweck in Hannover versteigert werden soll. Ein ungewöhnlicher Auftakt dieses Konzertabends, aber mehr als beeindruckend!
Bildergalerie David Garibaldi
[supsystic-gallery id=455]Zeitreise in die 70er Jahre
Um 20.45 Uhr tönt dann „Rock And Roll“ von Led Zepplin aus den Boxen. Noch ist die Bühne mit einem schwarzen Banner verhüllt, auf dem in weißen Lettern der Name KISS prangt. Als der Song zu Ende ist, kracht es, Feuerfontänen zischen aus den Seiten, das Banner fällt und die Band steht auf Plattformen auf der Bühne, die mehrere Meter hoch in der Luft zu schweben scheinen. Dazu eröffnet das Quartett das Set mit „Detroit Rock City“. Während des Songs bewegen sich benannte Plattformen wie Fahrstühle nach unten. Im Hintergrund der Bühne zischen auch Raketen herum, Böller werden gezündet. Das Publikum tobt, die Rockshow hat begonnen. Und sie soll legendär werden.
Weiter geht es mit „Shout It Out Loud“ und „Deuce“. Es sollen weitere 17 Songs folgen. Von Beginn an überwältigt dabei die Dynamik, die Bühnenpräsenz und die schiere Leichtigkeit, die KISS ausstrahlen. Auch wenn schon seit 1973 aktiv, wirken Bassist und Sänger Gene Simmons, Sänger und Gitarrist Paul Stanley, Gitarrist Tommy Thayer und Schlagzeuger Eric Singer trotz ihres gesetzten Alters absolut agil und motiviert ihr Publikum zu entertainen. Mit ihren Masken und den speziell designten, kunstvoll glamourösen Kostümen, wirkt die Band manchmal, wie aus einer anderen Zeit. Man kann sich auch nicht dem Eindruck entziehen, hier in eine Zeitreise in die 1970er, bzw. frühen 1980er Jahre geraten zu sein. Parallel dazu thront dieses Feuerwerk an Technik vor dem Publikum – ein Monster aus Pyro- und Lichtshow, das die Show einzigartig macht und den Besuchern ein Erlebnis beschert, was keiner so schnell vergisst. Dafür steht eben auch diese so charakteristische, leicht skurrile Liveshow, mit ihrem Funken Horrorcharakter und einer leichten Portion Freakshow.
Bildergalerie KISS
[supsystic-gallery id=456]„KISS Army Hannover, let me feel you!“
Vor allem Simmons und Stanley beziehen immer wieder das Publikum mit ein. Relativ schnell startet Paul Stanley ein Lautstärkebattle zwischen der rechten und der linken Seite der Bühne, um dann direkt mit „Say Yeah“ weiter zu machen. Eines seiner Statements bleibt dann auch direkt hängen: „KISS-Army Hannover, let me feel you!“. Gene Simmons dagegen beeindruckt bei „War Machine“ mit seinen Feuerspuckkünsten. Später spuckt Simmons Kunstblut, während er auf seiner Plattform ganz unter die Decke der Bühne gehoben wird. Sein Gesicht, wird auf mehreren Bildschirmen um die Plattform herum projiziert. Die Show entwickelt sich immer mehr zu einem wahren Rock´N Roll Zirkus, voller Effekte und toller Melodien. Passend dazu spielt KISS auch den Song „Psycho Circus“.
Nach „Calling Dr. Love“ folgt das nächste Highlight: das Drumsolo von Eric Singer als Teil des Tracks „100.000 Years“. Währenddessen entpuppt sich das Schlagzeugpodest als Hebebühne und Singer fährt mal eben einige Meter in die Höhe, was ihn aber nicht zu stören scheint. Direkt im Anschluss darf sich auch Gitarrist Tommy Thayer bei „Cold Gin“ mit einem Gitarrensolo austoben. Dabei schießt er Raketen aus seinem Gitarrenhals ab, inklusive Funkenregen.
Bildergalerie KISS
[supsystic-gallery id=457]„did You Get what you came for?“
KISS fühlen sich sichtlich wohl in Hannover. Paul Stanley lässt vor dem nächsten Highlight noch einen Liebesgruß an die Stadt und die Fans los: „Hannover, take a look at yourself, you are so beautiful“. Dann schwebt er per Seilbahn von der Hauptbühne zum Regie-Turm, wo in Mitten des Publikums eine kleine zweite Bühne mit einer riesigen Diskokugel errichtet wurde. Dort spielend, gibt es dann „Love Gun“ und „I was Made For Loving You“ zu hören. Bei vielen Zuschauern werden spätestens jetzt Kindheitserinnerungen wach und so nimmt das Publikum die Band, ihre Show und die vielen Ohrwurm-Hits sichtbar begeistert an. Hier schwelgt eine ganze Rockgeneration in Nostalgie und feiert im Grunde sich, die Band und die Musik – den glitzernden Classic Rock. Zurück auf der großen Bühne stimmen Stanley und seine Mitstreiter schließlich noch „Black Diamond“ an, bevor es zur ersten Verabschiedung kommt. Doch die Band ist wenige Momente später noch einmal zurück.
I wanna rock ’n‘ roll all night and party every day
Als erste Zugabe wird „Beth“ zum Besten gegeben, wobei Eric Singer alleine an einem glitzernden Flügel brilliert. Und wie es begonnen hat, geht es dann im Grunde auch zu Ende: Mit einem großen Knall, oder auch zwei oder drei – und mit „Crazy Crazy Nights“ und „Rock’N’Roll All Nite“. Stanley erkundigt sich noch beim Publikum, ob man geboten bekommen habe, was man erwartet habe und bekommt seine Antwort in der Form eines tosendem Applaus. Er wünscht seinen Gästen eine gute Nacht, schleudert sein Mikro über dem Kopf und schnappt sich kurze Zeit später seine Gitarre, um diese – wie es ein vernünftiger Rockstar eben macht – auf dem Boden der gewaltigen Bühne zu zertrümmern und sie seinen Fans zu überlassen. So endet ein legendärer Abend – ein Rockkonzert, von dem man noch lange sprechen wird, nach mehr als zwei Stunden in einem nicht enden wollenden Konfettiregen und Feuerwerk. Einziger Wermutstropfen, wenn man schon ein Haar in der Suppe suchen will, „God Gave Rock´N Roll To You“ gibt es als Rausschmeißer nur aus der Konserve und trotzdem ist es eine wahre Botschaft aus einer Zeit, in der handgemachte Musik noch eine ganz andere Bedeutung hatte. Der Song hätte sicher auch gut in die reguläre Setlist gepasst. Und doch hat man den Eindruck, hier Teil von etwas gänsehautesk Großem gewesen zu sein – einer musikalischen Zeitreise, die es einem schwer macht, aus dem Staunen wieder raus zu kommen.