Welcome back Mr. Gray! Gerade erst noch mit den Jungs von Boysetsfire auf 25jähirger Jubiläumstour und schon meldet sich Frontman Nathan Gray mit seinem zweiten Langspieler unter eigener Flagge wieder zurück. Mir persönlich kommt er manchmal vor wie der Duracell-Hase („Drumming Bunny“) der Post-Hardcore Szene. Was keinesfalls als harmloser Vergleich mit einer Werbefigur gesehen werden sollte, aber sehr wohl als Metapher für die Energie und Ausdauer, die er meiner Meinung in die Musik und seine Projekte steckt und gefühlt permanent präsent ist.
„„Working Title“ biete eine gute Mischung aus überwiegend hoffnungsvollem Optimus und auch nachdenklich zurückblickendem Realismus.“
Eine bemerkenswerte Entwicklung
Nach einer Vielzahl von Projekten unterschiedlichster Ausprägung und Richtung konzentriert sich Nathan Gray auf den Solopfaden explizit auf sich selbst. Und wie immer hat er viel zu sagen und er versteht sich sehr gut darauf seine Zuhörer, gerade live, auf eine spezielle Art für sich zu vereinnahmen. Neben seiner sehr einprägsamen Stimme nennt er auch ein besonderes Charisma sein Eigen, welches zusammen mit seiner authentischen emotionalen Art eine unverwechselbare Mischung ergibt. Diese Mischung an sich prädestiniert ihn eigentlich schon für einen Solokünstler, jedoch erinnere ich mich wie er zu Beginn 2018 noch etwas unsicher und aufgeregt auf die Bühne trat und sein erstes Solo Set präsentierte. Unsicher, weniger wegen Gesang oder Instrument, sondern vielmehr, weil er sonst nie allein auf der Bühne stehen musste. Aber auch das ist eben ein Teil seiner bemerkenswerten Entwicklung. So untermauert Nathan Gray den Hunger, den er ausstrahlt und versucht ihn zu stillen, indem er sich immer wieder neu erfindet und neuen Herausforderungen stellt.
Man darf Neues erwarten
So wird auch direkt mit dem ersten Lied des neuen Albums klargestellt, dass man etwas Neues erwarten darf. Der Opener „In My Defense“ startet kraftvoll und legt die Richtung fest: „I found a brand new direction when i got back from the fall”. Im Vergleich zum Vorgängeralbum, wo das instrumentale Arrangement in eher minimalistischer Form daherkam wartet „Working Title“ mit Bandstärke auf und auch der Titel selbst drückt eine ungewohnt gewitzte Leichtigkeit aus. Wen man es nicht besser wüsste könnte man denken, dass gerade ein recht punkiger Boysetsfire Song läuft. So richtig weit hergeholt ist dieser Gedanke auch nicht, da in der Tat der BSF Bassist Chris Rakus auch auf Nathan Grays Solo-Album mit dabei ist.
Der Erste Teil des Albums behält ein ordentliches Tempo bei, was neu, aber keineswegs unangenehm ist. An dritter Stelle findet sich dann auch schon die namensgebende Vorabauskopplung „Working Title“, auf der sich ebenfalls kein geringer als Mr. Chuck Ragan die Ehre gibt. Anschließend wird die erste entschleunigende Passage mit „What About You?“ eingeläutet, die aber erst durch den ergreifenden Titel „Refrain“ richtig zelebriert wird. Unterstützt nur von Klavier und Cello stellt dieser Track einen Kontrastpunkt zum bisherigen Verlauf des Albums dar.
„Er macht Mut, die eignen Fehler und Schwächen zu akzeptieren und optimistisch nach vorn zu blicken.“
Eine gute Mischung
Ziemlich genau in der Mitte der LP ist die ruhigere Phase vorerst beendet. „The Markings“ und „Hold“ werfen wieder eine gute Portion Punk-Pop mit in die Waagschale. Mit „Mercy“ folgt ein nachdenklicheres Stück über den Kampf gegen die inhärenten Dämonen. Im Anschluss folgt noch ein optimistischerer intonierter Abschnitt mit „No Way Out“, „Never Alone“ und „The Fall“.
Den Schlussakkord setzt „Down“, im vom Vorgängeralbum „Feral Hymns“ geprägten Stil, mit vergleichsweise schlichter Gitarrenuntermalung und in nachdenklichem, aber resoluten Ton. Damit setzt Nathan Gray einen gelungenen Schlusspunkt. Sicher wird er damit nicht alle seine Fans zufriedenstellen können aber „Working Title“ biete eine gute Mischung aus überwiegend hoffnungsvollem Optimus und auch nachdenklich zurückblickendem Realismus.
Eine inspirierende Fürsprache
Ich mag die Dynamik des Albums, die durch die Bandunterstützung herausgearbeitet wird, aber meine heimlichen Favoriten sind doch die langsameren Songs wie „Mercy“, „Refrain“ und „Down“. Nathan Gray beschreibt seinen Weg heraus aus dem Kampf gegen die eigenen Dämonen zurück ins Licht und eine Reihe von Erkenntnissen, die er auf diesem Weg mitgenommen hat. Er macht Mut, die eignen Fehler und Schwächen zu akzeptieren und optimistisch nach vorn zu blicken. Eine inspirierende Fürsprache sich frei zu machen, weniger im Sinne von Grenzen überwinden, als um die eigenen Mauern im Kopf niederzureißen.