Ren Aldridge von Petrol Girls im Interview

Petrol Girls
Foto: Martyna Bannister

Mit „Baby“ haben Petrol Girls just ihr neues Album (Albumreview) veröffentlicht, in dem Themen wie Abtreibungen, Burnout, Polizeigewalt oder Femizide angesprochen werden. Frontfrau Ren Aldridge nahm sich die Zeit, mit uns über die neuen Songs, die Musikszene und das, was sie antreibt, zu sprechen.

Humor ist ein starkes Werkzeug in politischen Bewegungen und ich möchte Teil solcher Bewegungen sein, die rücksichtsvoll sind und zusammen Spaß haben und nicht absolute Perfektion voneinander verlangen.<span class="su-quote-cite">Ren Aldridge</span>

„Ich denke, dass es viel mehr Emotionen als Wut gibt, die politisch hilfreich sind“

Wo treffe ich Dich gerade?
Zu Hause in Graz, Österreich, in meinem Wohnzimmer mit meinem Hund Patch.

Deine Band Petrol Girls veröffentlichen am 24. Juni ein neues Album “Baby”. Was ist an diesem Album anders im Vergleich zu den anderen?
Musikalisch ist einiges anders. Joe, unser Gitarrist, wollte es musikalisch etwas weniger episch und vorhersehbar und ich wollte meinen Part spielerischer und weniger predigend abliefern. Das Ergebnis ist, dass das Album emotional bisher am abgerundetsten ist. Ich konnte alle Seiten von mir, auch die albernen, zeigen, die ich in der Vergangenheit nicht so sehr heraus gelassen habe. Das ist sehr befreiend. Es ist einfach cooler und trotzdem rhythmisch komplex und experimentell. Ich weiß nicht, es ist einfach ein großer Schritt im Vergleich zu dem, was wir bisher gemacht haben und ich bin so zufrieden damit!

Habt Ihr Euch aktiv entschieden mehr Emotionen zu zeigen oder ist das eher im Prozess passiert?
Ich denke, ich wollte seit “Cut & Stitch” mehr als nur meine Wut zeigen, sonst wäre ich zu zweidimensional. Und ich denke, dass es viel mehr Emotionen als Wut gibt, die politisch hilfreich sind. In “Cut & Stitch” habe ich meine Verwundbarkeit mehr zugelassen. Diese Stellen gibt es jetzt auch, wie in “Unsettle” und “Bones”. Ich kam aus einer sehr schweren depressiven Episode, die 7 Monate angehalten hat und die Antidepressiva begannen zu wirken, ohne die ich dieses Album nicht hätte schreiben können. Du musst nicht die ganze Zeit super ernst sein. Ich erlaube mir selbst sarkastisch und verspielt zu sein. Ich denke der beste Weg, um beispielsweise Abtreibung politisch zu thematisieren, ist einen lächerlich lustigen Partyhit zu schreiben. Humor ist ein starkes Werkzeug in politischen Bewegungen und ich möchte Teil solcher Bewegungen sein, die rücksichtsvoll sind und zusammen Spaß haben und nicht absolute Perfektion voneinander verlangen. Daran zerbricht man irgendwann. Der Druck, die ganze Zeit politisch korrekt zu sein war mit einer der Gründe, die mir mental zugesetzt haben. Und ich möchte besonders jungen Frauen oder jungen queeren Menschen, die Bands starten, den Druck nehmen. Ich meine, wie hält man das aus? Let’s hold each other up!

„Ich bin besessen von cutting and stitching“

Ist Deine depressive Episode mit der Grund, dass Du Dich entschieden hast, offen über persönliche Themen wie Abtreibung zu sprechen – um andere Frauen zu unterstützen?
Nein, dass ich eine Abtreibung hatte, hatte nie einen negativen Einfluss auf meine mentale Gesundheit. Ich habe einige Jahre gewartet, bis ich offen darüber gesprochen habe. Natürlich kann es sehr traumatisierend, aber eben auch etwas positives sein. Ich hatte ein sehr unterstützendes Umfeld und ich hatte relativ leichten medizinischen Zugang dazu. Und ich möchte zeigen, wie absurd es ist Menschen dafür schlecht zu machen, wenn sie grundlegende medizinische Versorgung in Anspruch nehmen.

Lass uns zum Album zurück kommen. Wie ist das Intro “Scraps” entstanden und hat es eine tiefere Bedeutung?
Es sind wortwörtlich Schnipsel vom Album. Für mich ist es eine Art Übergang von “Cut & Stitch”. Es gibt einige backing vocals auf dem Album, die dafür herhielten. Ich bin besessen von cutting and stitching – Dinge auseinander zu nehmen und sie anders wieder zusammen zu setzen.

Welcher ist Dein Lieblingssong auf dem Album?
Es ist nicht möglich nur einen Song zu wählen. Ich liebe die Idee hinter “Baby, I Had An Abortion”. Es macht so viel Spaß ihn live zu spielen. Als Joe mit der Idee kam zu singen “baby” I had an abortion, hab ich gelacht und gelacht und das ist auch ein wichtiger Punkt, warum wir das Album “Baby” genannt haben.

Bei “Sick And Tired” wollte Joe mal ein ganz anderes Ende umsetzen. Die Melodie, das Singen und Schreien, das fühle ich so sehr. Ich glaube, das ist meine Lieblingsstelle auf dem Album, weil es so viel festhält und wieder loslässt. Außerdem finde ich die Verbindung zwischen Psyche und Körper total spannend und wichtig.

Gibt es einen Song, der schwierig zu schreiben war?
Ja, ich bin sehr stolz auf “Violent By Design”, den ich nicht ohne Janey Sterling hätte schreiben können. Manche Stellen sind rhythmisch so wild, ich weiß nicht was da überhaupt musikalisch passiert. *lacht* Es ist ein sehr sensibles Territorium, was ich da als weiße Frau der Mittelklasse betrete, aus Solidarität mit den Betroffenen von Polizeigewalt.

Ich glaube, ich wollte, dass es eine Provokation ist und ich bin stolz, wie es geworden ist. Janey war unverzichtbar im Prozess. Ich respektiere sie so sehr, nicht nur als Sängerin, sondern auch als Freundin, Aktivistin und wie strategisch sie in ihren Kampagnen vorgeht. Sie hatte auch ein Feature bei “Fight For Our Lives”. Feminismus ist das Thema, in dem ich am aktivsten bin. Ich organisiere Streiks gegen Femizide hier in Österreich und Janeys Arbeit in geschlechtsspezifischer Gewalt ist großartig und ich bin froh, dass sie uns geholfen hat. Ich fühle mit den Verbrechen, die dazu stattfinden und mit den Leben, die darunter leiden. Die Verse sind wie ein Manifest geschrieben. Dafür kämpfen wir – für Leben. Und damit meine ich, wir kämpfen wortwörtlich dafür am Leben zu sein. Trotz unterschiedlicher Privilegien, die wir alle genießen, könnte jede von uns Opfer eines Femizids sein. Aber wir kämpfen auch dafür, dass wir gute Leben leben können. Wir müssen leben um kämpfen zu können, wofür leben wir sonst?

„Cis-Männer haben noch einen langen Weg vor sich“

Wie sieht ein typischer Schreibprozess in Eurer Band aus? Nehmt Ihr fertige Songs mit ins Studio und ist jede Person im Prozess inkludiert?
*lacht* Wir gehen niemals mit komplett fertigen Songs ins Studio. Meistens schreibe ich die Texte fertig während ich im Studio bin. Ich lerne politisch immer wieder etwas dazu, es ist also schwer sich final festzulegen. Diesmal wurde der Großteil der Songs von Zock, Joe und mir im Proberaum in Graz geschrieben. Robin lebt in UK und hat dort Parts übernommen. Diesmal entschieden wir uns aktiv dazu die Songs im Studio fertig zu schreiben. Gegen Ende des Schreibprozesses haben wir den passenden Sound gefunden, der gut zum Album passt. Joe hat oft den musikalischen Überblick und setzt alle Ideen in ein Gesamtbild. Bei “Cut & Stitch” war ich diejenige, die in einem anderen Land gelebt hat und am Ende die Lyrics über die Musik gelegt hat. Bei “Baby” war ich mit Joe und Zock im Schreibprozess. Am Ende sind wir alle aufeinander angewiesen, um unsere Parts zu schreiben. Ergibt das Sinn?

Was fehlt Deiner Meinung nach noch in der Punkrock/Punk/Hardcore Szene?

*überlegt* Cis-Männer haben noch einen langen Weg vor sich. Ich würde gerne mehr Männer sehen, die über Konsens reden und toxische Maskulinität, emotionale und Care Arbeit, die Frauen in dieser Gesellschaft leisten, Konfliktlösung, Traumabewältigung. Ich habe vor kurzem mit einigen Frauen gesprochen, die sagen: ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht helfen, weil ich so ausgebrannt bin. Es gibt einen Grund, warum es nicht so viele ältere Frauen in der Musik gibt. I wanna see men do the real shit.

Was ich außerdem wirklich vermisse, sind Schattierungen und Freundlichkeit. Das haben wir in “Preachers” thematisiert. Ich bin nicht komplett für oder gegen Cancel Culture. Ich möchte jungen Menschen, queeren Menschen, die in der Musikszene unterwegs sind, diesen druck nehmen, perfekt zu sein. Wir sind alle menschlich, wir machen Fehler und wir sollten die Möglichkeit haben, aus Fehlern zu lernen. Wir brauchen uns gegenseitig und wir kämpfen gegen das selbe System. Billionäre und Menschen in Machtpositionen, das Patriarchat, der Kapitalismus – das sind unsere Feinde.

„Interessante Gespräche zu führen treibt mich an“

In “Sick And Tired” singst Du davon, dass Du müde und gelangweilt davon bist, immer wieder über dieselben Themen zu reden. Wo nimmst Du die Kraft her, die Dinge trotzdem weiter zu thematisieren?
Konversationen darüber zu haben. Schon alleine Deine Fragen zu hören und interessante Gespräche zu führen treibt mich an. Ich liebe es über feministische Themen zu sprechen und Menschen nach Konzerten zu treffen. Das gibt mir viel Energie.

Ihr werdet im Juni und Juli auf Tour sein. Worauf freust Du Dich am meisten?
Ich freue mich sehr die neuen Songs zu spielen, alte Freund*innen wieder zu sehen, an sozialen Orten zu sein. Das fühlt sich alles nach zu Hause an und das Essen, was wir bekommen ist großartig! Ich freue mich einfach darauf mit der Band zusammen zu sein, das klingt kitschig, ich weiß! Ich möchte mit den Leuten teilen, was wir erschaffen haben.

Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast, viel Spaß auf Tour!
Danke und danke für die aufmerksamen Fragen!

Video: Petrol Girls – Clowns