Rock am Ring Festival 2019: Die ersten Camp-Tage sind überstanden, das erste Unwetter überlebt und die wilden Paviane… Ähm, Pavillons wieder eingefangen. Aber irgendwann wird die Cantina Band auch langweilig, oder? Höchste Zeit, dass die Bühnen bespielt werden! Noch keine Lust auf Musik am frühen Nachmittag? Kein Problem! Das Infield ist fast mit einer Kirmes vergleichbar. Karussell, Riesenrad, Bällebad, Karaoke Bühne und vieles mehr wartet auf die Besucher. Hier wird niemandem langweilig. Getreu dem Motto “Heute kann es regnen, stürmen oder schneien” sind die Besucher auf alles vorbereitet. Das Wetter kann sich eben noch nicht ganz entscheiden wie es heute werden soll. Aber komme was wolle: Wenn unsere Lieblingsbands spielen bringt uns nichts von der Bühne weg, oder?
Volldampf statt Warm-Up
Offiziell eröffnet wird das Rock am Ring Festival von einer Band, die bei den meisten bisher unter dem Radar blieb. Während andere Bands im Laufe der Zeit ruhiger werden, machen es Palisades genau andersherum. Jedes Album wurde bisher härter, ohne sich dabei zu viel zu verändern. So auch das letzte Album „Erase The Pain“, das Ende Dezember 2018 erschien und möglicherweise aufgrund des Datums an vielen vorbeiging. Vor der Bühne ist es aber dennoch verhältnismäßig voll. Aber das, was Palisades veranstalten, kann man nicht mehr als Opener bezeichnen. Von Sekunde eins gibt die Band Vollgas und so auch das Publikum. Dies wird dabei immer wieder von Sänger Louis Miceli angestachelt: “This is the first time playing Rock am Ring, show us what you fucking got”. Bei “Let Down” werden auch das erste Mal die Gesangskünste des Publikums auf die Probe gestellt.
Ein Platzregen? Wir haben hier schon schlimmeres erlebt!
Etwas später stehen derweil die US-Rock-Geschwister Halestorm auf der Hauptbühne. Den Grammy knapp verpasst, feiern sie heute dennoch ausgelassen ihr 2018 veröffentlichtes Album “Vicious”. Mit den Worten “Deutschland ich liebe Dich” betritt Frontfrau Elizabeth „Lzzy“ Hale die Bühne, nachdem Drummer Arejay Hale die Menge mit einem ausgewogenen Solo angeheizt hat. Inzwischen fängt es etwas an zu regnen, die paar Tropfen scheinen aber niemanden wirklich zu stören. Ihre energiegeladene 50-minütige Show führt einmal quer durch ihre Schaffensgeschichte. Dabei sind besonders die Screams von Lzzy immer wieder beeindruckend. Eine Stimmgewalt, die seinesgleichen sucht. Und vor der Bühne? Hier bilden sich immer wieder kleine Pits, die eher an Gruppenkuscheln erinnern. Kein Wunder – durch den Regnen ist es plötzlich ziemlich kalt auf dem Gelände geworden.
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Kuschel-Pits zu den Grunge Urgesteinen
Auch wenn Alice In Chains ihre größten Erfolge bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre feierten, hat die Grunge-Truppe aus Seattle noch lange nicht genug von den Bühnen dieser Welt. Mit dem 2018 erschienenen, sechsten Album “Rainier Fog” hat die Band neues Material im Gepäck. Noch vor wenigen Tagen konnte man sie live in Hamburg sehen, heute rocken sie den Ring in Schutt und Asche. Ihr stimmgewaltiger Auftritt, der vor Energie nur so strotz, beweist auch den letzten Zweiflern sehr eindeutig: Die Grunge-Urgesteine sind noch lange nicht von der Bühne wegzudenken. Im Publikum sind auch hier immer wieder die kleinen Kuschel-Pits zu sehen. Es muss doch auch nicht immer “Auf die Fresse” sein, oder?
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“Don’t make me come down to do it myself”
Den Meisten sind Bad Wolves nur durch ihr Cover des Songs „Zombie“ von The Cranberries bekannt. Die Band hat aber deutlich mehr drauf. Zwar wurde sie erst 2017 gegründet, kann aber seither auf viele erfolgreiche Touren mit Szene-Größen zurückblicken. Ihr Debüt-Album erschien Mitte 2018 und konnte sich weltweit in den Charts behaupten. Auch bei Rock am Ring macht die Band keine schlechte Figur. Trotz wechselhaftem, windigen Wetter überzeugt die Band durch eine fast perfekte Bühnen-Dynamic. Dennoch hat Sänger Tommy Vext einige Probleme: Schon nach dem dritten Song verkündet er “I fucked up the show already, I’m fucking jetlagged”. Für einen Spaß ist er aber dennoch zu haben: ”I want to see a pit all the way to the end, don’t make me come down to do it myself”, worauf eine Wall of Death folgt. Am Ende gibts dann noch “Zombie” zu hören, den Song, auf den alle gewartet haben. Lautes Mitsingen inbegriffen.
Mit feurigen Gitarrenriffs gegen die Kälte
Slash wird der Musik auch absolut nicht überdrüssig. Erst mit Guns N‘ Roses auf „Not In This Lifetime“-Tour und direkt im Anschluss geht es seit Anfang 2019 solo weiter durch die Konzertsäle der Welt. Heute steht der Gitarrengott mit seinen Mitstreitern – dem Alter Bridge-Frontmann Myles Kennedy und den Jungs von The Conspirators – auf der Volcano Stage des Rock am Rings. Im Fokus steht ganz klar die neue Platte “Living The Dream” sowie – wie kann man es anders erwarten – das eine oder andere Gitarrensolo. Hier gibt es keine Kompromisse, sondern guten, handgemachten Rock. Aus den Kuschel-Pits sind mittlerweile ausgewachsene Pits geworden und man sichtet erste Crowdsurfer. Auch nutzen die Musiker die große Bühne voll aus, bleiben aber immer wieder zum Posen stehen. Eine runde Sache.
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“I think the English guys brought the rain”
Kaum eine Metalcore Band geht in den letzten Jahren so steil nach oben wie While She Sleeps. Der Erfolg ist aber auch kein Zufall. While She Sleeps haben seither vier Alben veröffentlicht, wobei keins so klingt wie das vorherige. Die Band definiert sich jedes mal neu, ohne dabei ihre Wurzeln zu verlieren. Dies stellen sie auch heute wieder unter Beweis. Als die ersten Töne zu “You Are We” ertönen explodiert die Menge förmlich. “We need the biggest fucking circle pit”, verlangt Gitarrist Mat Welsh und bekommt diesen auch. Generell sind die Pits inzwischen größer als bei allen vorherigen Bands. Gleiches gilt für die Stimmung. Diese am heutigen Tag zu übertreffen ist eine schwierige Aufgabe. Mit den Worten “I think the English guys brought the rain, thanks for staying anyway”, beschreibt Sänger Lawrence ‚Loz‘ Taylor dem immer wiederkehrenden Regen, welcher ganz am Ende noch von der Sonne verdrängt wird. Oder war doch der letzte Song “Hurricane” schuld?
“Fuck the wind and fuck the rain”
Während auf der Alternastage die letzten Töne der Metalcore Giganten von While She Sleeps erklingen und vor der Hauptbühne die Spannung ins unermessliche steigt, geht es auf der Beck’s Stage verhältnismäßig unspektakulär zu. Sofern man den Indie Rock mit Techno-Einflüssen der Foals irgendwie als unspektakulär bezeichnen kann. Die im UK mehrfach ausgezeichnete Band liefert eine solide Performance ab. Die Setlist besteht zum großen Teil aus dem 2018 erschienen Doppelalbum “Everything Not Saved Will Be Lost”. Leider leiden Foals unter einem Bewegungsproblem. Auf der Bühne passiert nicht wirklich was, wodurch die Interaktionen mit dem Publikum auf ein “I hope you have a fucking good time, fuck the wind and fuck the rain” oder “lets fucking do this” von Gitarrist und Sänger Yannis Philippakis beschränkt wird.
Ein Bengalo im Pit? Ich mache mit!
Es wird pünktlich zum Sonnenuntergang auf einmal so richtig voll vor der Volcano Stage. Das 2018 erschienene, neueste Werk “Shiny And Oh So Bright, Vol. 1” (Albumreview) der Smashing Pumpkins steht für Rückkehr und einen Neuanfang. Und so knistert es in der Luft vor Spannung, denn die meisten der Anwesenden haben The Smashing Pumpkins noch nie in der neuen “alten” Besetzung mit Schlagzeuger Jimmy Chamberlin und Gitarrist James Iha gesehen. Als die Rocker aus Chicago dann die Bühne stürmen entlädt sich diese Spannung in einer einzigen Party. Neue Songs wie auch alte Klassiker werden von der partyhungrigen Menge nur so verschlungen. Dass viele heute den Weg zum Ring nur wegen der Pumpkins gefunden haben merkt man unter anderem daran, wie textsicher das Publikum ist. Auch hier sind wieder viele kleine Pits zu sehen, teilweise mit Bengalo im Kreis laufend. Auch die Zahl an Crowdsurfern nimmt stark zu. Ansprachen oder Unterbrechungen gibt es nur sehr wenige. The Smashing Pumpkins ziehen professionell ihr Set durch, ohne zwischendurch vom Plan abzukommen.
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Gitarren! Wir brauchen mehr Gitarren!
Nach und nach kommen derweil die Musiker von Kvelertak auf die Bühne und beginnen mit einem ausgedehnten Gitarren-Intro, welches sich über drei Gitarren streckt. Dann kommt Sänger Ivar Nikolaisen dazu und die Party geht los. Ab dem ersten Moment drehen Kvelertak richtig auf, wie es für die Hardcore-Punk-Band üblich ist. Auch wenn aufgrund der ausschließlich norwegischen Texte kaum einer ein Wort versteht, hindert dies keinen, den Moshpit außer Acht zu lassen. Musikalisch gibt es zwar seit längerem nichts neues, dafür ein Wechsel in der Besatzung: 2018 verabschiedete sich Sänger Erlend Hjelvik, um Platz für Ivar Nikolaisen zu machen, welcher heute zu jedem Zeitpunkt klarstellt, dass er der passende Ersatz ist.
“Germany, we fucking love you”
Erst im Oktober 2018 erschien das letzte Album „Disease“ von Beartooth. Das heißt aber nicht, dass man nicht jetzt schon nachlegen kann. Im Mai erschienen zwei B-Side Songs, die ohne Weiteres auch auf dem Album hätten erscheinen können und sollten. Die Tracks entstanden nämlich ebenfalls während des Songwritings und der Aufnahmen von “Disease”. Heute bekommen wir diese aber leider nicht auf die Ohren. Macht das aber einen Unterschied? Keineswegs! Wer dachte, dass While She Sleeps heute nicht mehr von der Stimmung getoppt werden können, liegt falsch. Den ganzen Tag hat man immer wieder Stimmen gehört die fragten, wann Beartooth endlich spielen. Die Vorfreude merkt man sofort. Ein Ton reicht und das Publikum verwandelt sich in einen einzigen Chor, der am liebsten bis in den morgen weiterfeiern würde. Dazu spornt Sänger Caleb Shomo das Publikum immer weiter an. “Where is my moshpit?” und “Why do we have two pits? I need one fucking big one” sind nur zwei Beispiele. Auch an Pyro spart die Band nicht und kann damit mit den ganz Großen mithalten. Am Ende bedankt sich Caleb noch bei seinen Fans, “This song is for you Germany, we fucking love you!”
Hypnotische Klänge zum krönenden Abschluss
2006 erschien das letzte Album der Giganten von Tool. Seit 2011 ein neues Werk angekündigt wurde, warten alle Fans der Amerikaner darauf – 2019 soll es nun endlich im August erscheinen. Die letzten Jahre war es eher ruhig um die Band, seit Mai 2019 ist nun aber sicher: Tool sind zurück! Nach zwei Auftritten in Berlin und Wien spielen sie heute ein 90-minütiges Set auf der Hauptbühne des Rings. Im Vorfeld hat man immer wieder Gesprächsfetzen mitbekommen, ob es heute denn nun endlich neues Material live zu hören gäbe. Und siehe da – es wurde niemand enttäuscht! Zwei bisher unveröffentlichte Songs, „Descending“ und „Invincible“, wurden in voller Länge gespielt. Natürlich gehört zu jeder guten Tool Show auch eine gute Lichtshow. Und was für eine! Laserstrahlen schießen durch die Menge und die Visualisierungen der Songs auf den LED-Leinwänden stellt die Musiker selbst tatsächlich ein wenig in den Hintergrund. Vor allem Sänger Maynard James Keenan ist oft schwer auszumachen, steht er doch nicht so wie für einen Fronter üblich direkt am Bühnenrand, sondern hinten im Schatten. Grund dafür ist, dass er möchte, dass seine Musiker mehr in den Vordergrund rücken. So geht es durch altes und neues Material – dennoch spaltet der Auftritt die Anwesenden. Einige stehen wie gebannt, ja fast schon in Trance da und sind vom ersten bis zum letzten Ton völlig in Musik und Show gefangen. Andere scheinen einfach keinen Zugang zu den hypnotischen Klängen zu finden und machen sich – vielleicht auch aufgrund der Kälte – auf den Rückweg.
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Das Lied von Eis und Feuer
Kaum wird es kalt und ungemütlich aufgrund der Tageszeit kommen die polnischen Death/Black Metaller Behemoth mit der Lösung daher. Mit ordentlich Feuer heizen sie der Masse ein. Kaum einen Moment kann man irgendwo auf der Bühne keine emporschießenden Flammen bestaunen. Aber sind wir mal ehrlich – dafür sind wir doch alle hier. Dafür und natürlich für die Musik selber. Hier hat die Band um Adam Michał „Nergal“ Darski primär ihr neues Album „I Loved You At Your Darkest“ mit im Gepäck. Das Geknüppel der Band ist schon fast der komplette Gegensatz zu dem, was bisher auf der Hauptbühne geschah, aber irgendwie zieht auch dies in seinen Bann. So wurde man hier quasi sanft in den Schlaf geprügelt.
Und somit ist der erste Tag vorbei. Wenn man diesen reflektiert muss man sagen, dass das Wetter dieses Jahr echt gut ist – zumindest bisher. Aber auch, dass die Stimmung am heutigen Tag auf der Alternastage durchgehend am besten war. Auf der Hauptbühne wurde heute aber auch älteren Bands gehuldigt, was die nächsten Tage aber wieder anders aussieht. Allein aufgrund der Menge an Konfetti, die immer wieder von den Besuchern durch das Publikum flog, kann man wohl sagen, dass der Tag mehr als gelungen war.