Chris Cresswell von The Flatliners im Interview

Foto: Sarah Fass

The Flatliners haben Anfang August ihr mittlerweile sechstes Album „New Ruin“ veröffentlicht und abermals gezeigt, dass sie in der Punkrock Szene ein Garant für eingängige Hooks und ausgefeiltes Songwriting sind. Das ist für uns Grund genug gewesen, beim Punk Rock Holiday in Slowenien mit dem charismatischen Frontmann Chris Cresswell über die neue Platte, das Touren und die Zukunft der Band zu reden. Mixt euch einen Melonball und habt viel Spaß beim Lesen unseres Interviews.

Ein großer Teil des Albums handelt von all den schrecklichen Dingen, die wir alle in den letzten Jahren in der Welt erlebt und erfahren haben. Und um ehrlich zu sein, geht es größten Teils auch darum, dass es uns total peinlich ist heutzutage ein Mensch zu sein, wenn man bedenkt, wie die Leute sich gegenseitig behandeln, wie sie den Planeten behandeln und wie sie sich selbst behandeln.<span class="su-quote-cite">Chris Cresswell</span>

Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für unser Interview nehmen konntest. Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album und natürlich auch dazu, dass Ihr seit 20 Jahren Musik macht.

Vielen Dank dafür.

Ja, also lass uns gleich eintauchen: Ihr nehmt immer im Geheimen auf. Kannst Du uns ein paar Einblicke in den Aufnahme- und Schreibprozess von „New Ruin“ geben?

Ja. Ich denke der Grund, warum wir es im Geheimen machen ist, dass man normalerweise eine Platte aufnimmt und es dann fast ein Jahr dauern kann, bis sie herauskommt. Wir haben New Ruin im letzten September bis Anfang Oktober aufgenommen. Ich habe das Gefühl, wenn man zu früh zu viel davon veröffentlicht, sind die Leute weniger begeistert, als wenn man sie damit überrascht. Also ja, wir haben es in Toronto aufgenommen. Wir haben es in zwei verschiedenen Studios aufgenommen, weil Paul und John ihre Tracks immer live zusammen einspielen. Wenn sie sich zusammentun, ist es immer so, als wären sie eins. Scott und ich haben danach die Gitarren und den Gesang in einem anderen Studio aufgenommen. Unser Freund Matt Snell hat alles in beiden Studios aufgenommen. Wir hatten sozusagen das gleiche Team und die Band hat die Platte selbst produziert. Das war ein gutes Gefühl. Es fühlt sich gut an zwanzig Jahre eine Band zu sein und sich selbst zu vertrauen und einfach zu denken:

Wir wissen, dass diese Songs großartig sind. Wir wissen, dass wir diese Songs lieben und wir haben vollstes Vertrauen in sie, also machten wir es einfach selbst.<span class="su-quote-cite">Chris Cresswell</span>

Das war alles nachdem wir das ganze Zeug separat geschrieben hatten, einfach aufgrund dessen, was in der Welt passiert war. Und John zum Beispiel wohnt drei Stunden östlich von uns allen. Es ist also nicht so einfach, alle zusammenzubekommen, besonders während Covid und so. Also wird bei uns viel getrennt geschrieben. Dann habe ich den Jungs diese Ideen geschickt. Ich hatte so viel Zeit, dass ich sie schon früh gefragt habe, ob es in Ordnung ist, wenn ich ihnen so etwas wie vollständig realisierte Ideen mit Midi-Drums schicke. Wobei ich auf den Demos auch Bass spiele, wohl wissend, dass es albern ist, wenn ich John und Paul auch nur eine Ahnung gebe, was der Bass und das Schlagzeug machen sollen, weil sie einfach so gut sind. Aber ich wollte ihnen die klarste Interpretation meiner Idee geben, die ich geben konnte. Und weil wir so viel Zeit hatten, ohne zu touren, war es sehr einfach. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Dann hatte ich das Glück, dass alle die Ideen, die dabei herauskamen, wirklich mochten. So haben wir das monatelang gemacht und eine Woche vor den Aufnahmen haben wir uns dann alle zusammen in den Raum gesetzt, um den Feinschliff vorzunehmen und sicherzustellen, dass jeder seine Spuren hinterlässt. Das hat dazu geführt, dass es nach uns klingt. Ich glaube, so fantastisch haben wir noch nie geklungen.

Es ist cool, diese kleinen Hintergrundgeschichten zu hören. Mir gefällt das Ergebnis sehr gut und ich würde sagen, dass das Album sehr abwechslungs- und facettenreich ist. Lass uns ein wenig über die lustigen Musikvideos sprechen, die Ihr dazu veröffentlicht habt. Die drei Videos zu „Performative Hours“, „Souvenir“ und „Rat King“ sind miteinander verbunden. Kannst Du uns vielleicht auch einen Einblick geben, wie ihr auf diese Idee gekommen seid?

Das war eine weitere Sache die daraus entstanden ist, dass wir so viel Zeit und endlich eine Idee hatten, für die wir uns wirklich einsetzen wollten. Eine Geschichte, die wir wirklich erzählen wollten. In der Vergangenheit haben wir einige Videos gemacht, die wir wirklich lieben, aber wir haben auch einige Videos gemacht, zu denen wir keine große Beziehung hatten. Es ist einfach so, dass man es gut machen muss und das ist eine Menge Arbeit. Es ist eine unglaubliche Kunstform, die vor allem für uns vier, die wir in den Neunzigern aufgewachsen sind, etwas ist, das wir wirklich lieben und respektieren. Damals war die beste Zeit für Musikvideos. Ich glaube, wir wurden einfach von dieser Art von Zeug beeinflusst und ich glaube, dass wir kürzlich einen Punkt erreicht haben, nicht nur in der Band, sondern in der gesamten Musikwelt, an dem Musikvideos für die Leute nicht mehr so wichtig waren, weil sie nicht mehr im Fernsehen liefen. Also wurden Videos gemacht, die irgendwie nichts mehr bedeuteten und nur auf YouTube zu sehen waren und all das fühlte sich irgendwie nicht mehr so einflussreich an. Wir wollten also eine Art Rückbesinnung auf die Ära, in der wir uns in Musikvideos verliebt haben und sie zusammenhängend gestalten, sodass es Spaß macht sie anzusehen. Man wartet dann sozusagen immer ein paar Wochen bis zum nächsten Teil der Geschichte. Und wir hatten das Glück, dass Rodrigo, der die Hauptfigur Ron Regal in allen Videos spielt, die Idee gefiel. Er war der Typ, den ich im Kopf hatte. Er war die erste Wahl für die Hauptfigur, der rote Faden für alle Videos und er sagte zu. Dann beauftragten wir Mitch Barnes mit der Regie der Videos. Wir kannten seine Videos durch seine Arbeiten, die er mit unseren Freunden von Dirty Nil in Kanada gemacht hatte und wir liebten das. Dann war da noch die Initialzündung für die Idee der übergreifenden Geschichte, die sich durch jedes Video zieht. Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen würde. Ich bin so begeistert. Wir sind alle so begeistert davon, wie sich unser Projekt entwickelt hat. Denn als Rodrigo sich beteiligte, brachte er auch all diese anderen Comedians aus der Torontoer Comedy-Szene mit ein, von denen wir einige kannten und mit denen wir befreundet waren; mit anderen wiederum nicht. Er war so hilfreich dabei, alle zusammenzubringen.

So viel Spaß hatte ich noch nie bei der Aufnahme einer Flats-Platte.<span class="su-quote-cite">Chris Cresswell</span>

Hinzu kommt, dass es bei einem Musikvideo keinen Dialog gibt. Also haben sich Mitch und Rod, der Regisseur und der Schauspieler, zusammengetan, um einen Weg zu finden, die Geschichte allein durch Mimik und körperliche Energie zu erzählen. Wir als Band, wurden einfach ein bisschen in die Videos eingestreut. Es war also eine Menge Arbeit, aber es hat so viel Spaß gemacht. So viel Spaß hatte ich noch nie bei der Aufnahme einer Flats-Platte und so viel Spaß hatte ich auch noch nie bei all den anderen Dingen, die man heutzutage macht, um ein Album zu promoten: Man umgibt sich mit Leuten, die man bewundert und deren Arbeit man wirklich mag und mit denen man gerne zusammen ist. Hoffentlich hatten alle Spaß dabei. Wenn nicht, macht man etwas falsch (lacht). Aber so war es. Es war wie ein Wirbelwind. Wir haben ein Video gedreht und dann zwei Wochen später ein weiteres, bevor das erste herauskam. Und dann haben wir so weitergemacht, bis alle drei fertig waren. Es war wild und ein Riesenspaß.

Das klingt toll. Mir hat vor allem gefallen, dass Du in einem Video Deine Katze mitgebracht hast.

Ja, ja. (lacht) Ja. Mort. Es war lustig zu sehen, dass er der Professionellste am Set war.
Meine Frau und ich brachten ihn an diesem Tag mit ans Set und wir dachten: Das wird ein Albtraum. Da sind all diese vielen Leute um ihn herum und er wird weglaufen, aber e war großartig. Mort war ein echter Profi. Wir haben seine Sachen in fünf Minuten gefilmt und er hat dann einfach nur rumgehangen. Er hatte sein eigenes Badezimmer, eine kleine Suite für den Rest des Nachmittags. Wir hatten jemanden, der mit ihm spielt, ein paar Snacks und ein kleines Katzenklo. Für ihn war bestens gesorgt.

Lass uns über ein bestimmtes Stück auf der neuen Platte sprechen, denn ich finde es großartig und Ihr schließt die Platte mit diesem Stück ab, es ist „Under A Dying Sun“. Und korrigiere mich, wenn ich falsch liege, das ist der erste Flatliners-Song im 3/4-Takt?

Ja, es ist unser erster.

Was ist die Bedeutung hinter dem Song und was hat dich dazu inspiriert, diesen Song zu schreiben?

Der Song handelt im Grunde genommen vom Älterwerden, aber es ist noch ein bisschen mehr. Ich glaube, je älter man wird, desto mehr verändert sich das Leben und die Verantwortung, die man – nicht nur – gegenüber anderen Menschen hat. Wenn man eine Familie hat, auch wenn man Haustiere hat, Arbeit, Leute, die sich auf dich verlassen, all diese Dinge, dann wächst die Verantwortung in deinem eigenen Leben. Aber ich denke, dass die Verantwortung auch nach außen hin wächst, was bedeutet, dass es wichtig ist, sich in der Gesellschaft zu engagieren und zu wissen, was um einen herum passiert. Egal, ob gut oder schlecht. Es ist wichtig, dass man die Möglichkeit hat, Veränderungen zu bewirken in einem Umfeld, in dem man sieht, dass es beispielsweise Hilfe braucht, um sich in eine positive Richtung zu verändern. Hoffentlich in eine positive Richtung, denn wir wissen, dass es da draußen auch Leute gibt, die das Gegenteil tun. Aber ich denke, das ist sozusagen das Hauptthema, dass wir einfach das Gewicht des Lebens im Allgemeinen spüren. Ein großer Teil des Albums handelt von all den schrecklichen Dingen, die wir alle in den letzten Jahren in der Welt erlebt und erfahren haben. Und um ehrlich zu sein, geht es größten Teils auch darum, dass es uns total peinlich ist heutzutage ein Mensch zu sein, wenn man bedenkt, wie die Leute sich gegenseitig behandeln, wie sie den Planeten behandeln und wie sie sich selbst behandeln. Und so steht „Under A Dying Sun“ umfassend für unser tägliches Leben, in dem man realisiert, dass man jetzt alt genug ist, um eine Welle zu schieben, vielleicht in einer Gruppe und mit der Hilfe anderer Leuten. Ich bin kein Kind mehr und wende mich an die Erwachsenen und frage: „Was machen wir jetzt?“ Oder wenn es ein Problem gibt, frage ich: „Was sollen wir tun?“ Jetzt sind meine Freunde und ich alt genug, um Problemlöser zu sein, wenn wir das sein wollen. Oder wir sind zumindest bereit, nach einer Lösung zu suchen. Es ist nicht so, dass es überhaupt keine Heldentaten mehr gibt. Es ist ein wirklich trauriger, düsterer Song. Es geht viel um das Gefühl, dass du versuchst voranzukommen und Fortschritte zu machen, aber du siehst, wie alles um dich herum zerbröckelt. Wie ich schon sagte, die Art, wie die Leute einander behandeln, wie die Leute den Planeten behandeln. An manchen Tagen fragt man sich, warum wir eine Wende überhaupt noch versuchen sollen, wenn es gefühlt eigentlich schon verdammt nochmal vorbei ist. Aber dann, an anderen Tagen, kommt man aus diesem sehr negativen Gefühl heraus und hat Hoffnung. Ich meine, es gibt immer einen Weg nach vorne, aber ich denke, es geht besonders darum, sich durch das tägliche Leben, den Stress und die Ungewissheit zu navigieren.

Das ist ein wirklich spannender Song, ich liebe die melancholische Stimmung darin.

Ich denke, das ist einer der besten Songs, den ich je geschrieben habe. Früher war ich bescheidener mit solchen Aussagen, aber jetzt, mit dieser Platte, habe ich das Gefühl, dass ich sie richtig liebe. Ich denke, es ist in Ordnung, wenn man ein Fan von sich selbst ist. Ich liebe also diesen Song und er macht mir immer noch sehr viel Spaß. Ich meine, es ist schon eine Weile her, dass wir seit „Great Awake“ mit einem längeren Album-Closer herausgekommen sind. Das ist eine Art Bestandsaufnahme. Ich liebe es, einen Album-Closer zu schreiben. In der Vergangenheit hat sich meist schon sehr früh herausgestellt, dass es sich bei solchen Songs um einen letzten Track auf dem Album handelt, wenn der Funke übergesprungen ist und sich die Idee schon im ersten Riff des Songs festgesetzt hat. Sobald diese Entscheidung gefallen ist, geben wir als Band alles und sagen: „Das ist der Closer. Das ist der Closer!“ Und es macht Spaß, auf diese Art und Weise den ganzen Bogen einer Platte zu spannen.

War es eines dieser Stücke, die sich von selbst schreiben oder war es ein längerer Prozess bis alles passte?

Es gab viele Teile, weißt du. Es ist lustig, es ist der erste Drei-Viertel-Takt Song, den wir je gemacht haben. Aber es gab noch einen anderen Teil, an dem ich gearbeitet habe. Er war in Vier-Viertel, aber in der gleichen Tonart und ich dachte: „Nun, das könnte vielleicht zusammenpassen„. Und ich habe so lange versucht herauszufinden, wie man diese beiden Taktarten zusammenbringen kann. Ich weiß, dass es möglich ist, aber ich konnte es nicht herausfinden und es hat nicht gut geklungen. Es hat also ein bisschen gedauert, aber das ist bei Closern nicht unnormal.

Ich habe das Glück, eine unglaubliche Frau zu haben, die mich immer sehr unterstützt hat.<span class="su-quote-cite">Chris Cresswell</span>

Ich würde gern ein wenig von der Platte abschweifen und über das Touren sprechen, denn in den letzten zwei Jahren ist offensichtlich eine Menge passiert. Gibt es irgendeinen Unterschied, den Du jetzt auf der Tournee im Vergleich zu den Zeiten vor der Pandemie bemerkst? Ich habe gesehen, dass ihr am Anfang eurer Europatournee leider ein paar Termine absagen musstet.

Ja, es ist vieles anders. Ich meine, die ganze Situation hat einfach eine zusätzliche Schwere, wenn man so weit von zu Hause weg ist. Und was passiert, wenn jemandem, den man kennt, etwas zustößt. Jeder Band, jedem Menschen geht es irgendwie ähnlich, aber nicht jede:r muss für die Arbeit reisen. Das macht es für uns anders schwer, als für andere. Auch das dazugehörige Buisness, die langweilige geschäftliche Seite am Touren, ist nicht leichter geworden. Alles auf der Welt ist jetzt zwei- bis dreimal so teuer, wie wir wissen. Für kleinere Bands in unserer Größe ist es schwer einen Van zu bekommen, das Benzin zu bezahlen, ein Flugticket zu bezahlen. Alles ist so viel teurer. Es gibt kaum mehr bezahlbares Merch und jede Merch-Firma wird überschwemmt mit Arbeit, weil gleichzeitig jede Band auf Tour ist – was prinzipiell natürlich toll ist. Das bedeutet aber auch, dass die Menschen, die sonst mit uns auf den Touren arbeiten, nicht verfügbar sind. Also denken wir: „Oh, Scheiße. Wir brauchen Leute, die uns auf dieser Tour helfen.“ Man könnte da noch ewig so weiter machen und es gibt so viele Gründe, warum wir von der aktuellen Situation überfahren sind. Es fühlt sich im Moment ein bisschen Sandpapier-mäßig an, verstehst du, was ich meine? Es fühlt sich so an, als ob in einem Jahr oder so, alles geglättet sein wird und dann auch alles wieder gut wird. Jeder wird wahrscheinlich in einer besseren Position sein und gleichzeitig ist es für alle so aufregend, wieder loszulegen. Das überwiegt wirklich alle potenziellen Stressfaktoren. Ich glaube, für Bands, die während Covid-19 angefangen haben Musik zu machen und jetzt auf Tour gehen wollen – Benzinpreise sind so hoch, wie noch nie – ist es besonders hart und die denken „Meine Band wird nie auf Tour gehen“. Das ist die Realität für einige Leute. Wir hatten alle diese Pause. Ich glaube, jetzt sehen wir das Leben jedes Einzelnen vielleicht ein bisschen anders. Und ich glaube, die Dinge summieren sich jetzt buchstäblich anders und das gibt den Leuten mehr Antrieb, sich zu engagieren und andere Sachen unzusetzen. Es gibt den Leuten wahrscheinlich andere Möglichkeiten. Ich weiß es aber nicht wirklich. Ich weiß nicht, wo genau wir in diesbezüglich stehen. Wir sind einfach froh, zurück zu sein. Ich habe eine Menge Touren gemacht – es fühlt sich toll an, wieder da zu sein, weißt du? Die Art und Weise, wie wir jetzt als Band agieren können ist, dass wir uns einfach Stück für Stück ein bisschen pfeffern, sodass es für uns in Ordnung ist. Zu Beginn dieser Tournee hätten wir eine ganze zusätzliche Woche spielen sollen, aber wir konnten es einfach nicht einrichten, da das ganze Booking mindestens zwei Jahre alt war. Dann wurden die Shows immer wieder verschoben und alles hat sich geändert. Es ist also nicht die schönste Antwort der Welt, aber sie ist real. Für all diese Leute und Bands ist es ihr Leben und vor allem ihr Lebensunterhalt, auf den sie schon seit ein paar Jahren warten. Das ist natürlich nicht das Einzige, aber es ist dadurch eine Menge zusätzliches Belastung dazugekommen. Wenn man dann auf der Bühne steht, ist das alles wie weggeblasen. Dann ist es immer noch das, was mich und all die anderen Jungs in den Flats ausmacht. Ich bin mir sicher, dass das in einer Band sein das ist, was uns am meisten zu uns selbst finden lässt, oder? Wenn uns das weggenommen wird, ist das beängstigend und traurig, aber wenn man es dann zurückbekommt, will man es nicht mehr loslassen.

Es ist toll, dass Ihr wieder da seid. Es war eine harte Zeit für Musikliebhaber:innen. Wie schaffst Du es bei all den geplanten Tourneen und Deinem Engagement bei Hot Water Music Deine Work-Life-Balance zu halten, besonders jetzt, wo Du verheiratet bist?

Ich habe das Glück, eine unglaubliche Frau zu haben, die mich immer sehr unterstützt hat. Freunde, Familie, meine Frau, alle unterstützen mich so sehr. Und ich kann mir keine Zeit in meinem Leben vorstellen, in der ich mehr Arbeit hatte, als jetzt. Es ist nach so einer inaktiven Zeit, zumindest was das Live spielen angeht, spannend direkt auf Tour zu gehen. Ich meine, ich bin glücklich, das machen zu können und habe das Glück, dass ich zwei Bands habe, die das gerade auch tatsächlich durchziehen können. Die Zusammenarbeit mit Hot Water Music ist für mich immer noch sehr surreal. Es macht nicht viel Sinn, wenn ich darüber nachdenke, aber es ist wunderschön. Die Tatsache, dass The Flatliners nun schon seit 20 Jahren eine Band sind, ergibt für mich auch nicht viel Sinn. Aber es ist ebenfalls wunderschön. Und es ist ein überwältigendes Gefühl einfach glücklich zu sein und hier zu sein, aber es ist definitiv ein Marathon und kein Sprint. Das habe ich gelernt, als ich zurückkam. Meine erste Show war eine Hot Water Music Show und auf der Setlist an diesem Tag sang Chuck die ersten paar Songs. Ich war so aufgeregt, wieder auf der Bühne zu stehen und am Ende des ersten Songs war ich so erschöpft, dass ich dachte, ich muss mich entspannen, weil ich noch zwei Songs singen musste und mich verdammt noch mal entspannen musste, weil es so aufregend war. Ich war so nervös und ängstlich. Vor der ersten Show dachte ich, ich vergesse alles. Ich übe sehr viel, was mein Leben zu Hause beeinträchtigt, weil ich immer übe und immer spiele. Aber in dem Moment, als die erste Note bei der ersten Show getroffen wurde, war es pure Euphorie. Und ja, ich habe viel zu Hause oder auf Tour gespielt. In meinem Leben hat das immer eine Rolle gespielt. Das ist gut für mich, da meine Frau nur die eine Version von mir kennt. Sie ist definitiv eine Heilige, wenn ich dran denke, dass ich nicht nur mit einer Band sehr beschäftigt bin, sondern jetzt mit zweien. So nach dem Motto „Okay. Alles klar, man sieht sich.(lacht)

Aber es ist so schön zu hören, dass es am Ende alles funktioniert.

Es erfordert eine Menge Organisation, eine Menge Zeitplanung, aber das ist es, ja.

Die nächste Frage ist wahrscheinlich eine egoistische Frage, denn ich liebe Dein Soloalbum. Ist da irgendetwas in der Pipeline? Da wir gerade von den zwei Bands sprechen; wirst Du jemals wieder Zeit haben, ein weiteres zu machen?

Oh, danke sehr. Da gibt es etwas. Das ist alles, was ich sagen möchte.

Ich glaube, wir haben FAT Wreck Chords erfolgreich dazu überredet, wieder mit der „Live In A Dive“-Serie herauszukommen.<span class="su-quote-cite">Chris Cresswell</span>

Das kann ich voll verstehen, kein Problem. Ihr habt mit den Flatliners bisher sechs Alben aufgenommen. Habt ihr jemals über eine Live-Platte gesprochen? Was haltet ihr von Live-Aufnahmen im Allgemeinen und ist das etwas, das ihr irgendwann anpeilt?

Ja. Ich meine, wir haben im Laufe der Jahre schon oft darüber gesprochen. Wir würden das gerne irgendwann mal machen. Ich glaube, wir haben FAT Wreck Chords erfolgreich dazu überredet, wieder mit der „Live In A Dive“-Serie herauszukommen. Ich möchte zumindest egoistisch zu Protokoll geben, dass das unser Verdienst ist. (lacht) Wir haben diese Tour mit Lagwagon und Western Addiction in Europa gemacht. Und Chad Williams, der Schlagzeuger von Western Addiction, war lange Zeit der Labelmanager von FAT. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon seit Jahren befreundet und auf der ganzen Tour teilten wir uns einen Tourbus mit Western Addiction und wir sagten: „Chad, du musst ‚Live In A Dive“ zurückbringen. Du musst es tun.“ Und er sagte: „Nun, wenn wir das machen, würdet Ihr mitmachen?“ Und wir sagten: „Ja, wir würden es auf jeden Fall machen!“. Ein Flatliners Klassiker ist, dass wir im Grunde eine coole Idee haben, aber dann sind wir zwei Jahre lang auf Tour und kommen in der Regel erst sehr viel später dazu. Bei einer Live-Platte hatten wir nicht so viele Ausreden. Ehrlich gesagt, ist das aber auch etwas, das man richtig machen will. Und ganz ehrlich muss es wahrscheinlich ein paar Optionen für Songs geben. Wir haben also offensichtlich noch keine gemacht und ich weiß nicht wirklich, ob es unser Verdienst ist, dass FAT diese Serie zurückgebracht hat, aber wir würden gerne eine aufnehmen. Das ist etwas, worüber wir im Laufe der Jahre so oft gesprochen haben, aber auch wenn unsere Alben heutzutage so weit auseinander liegen, hat das immer Vorrang vor allem anderen. Also hoffentlich eines Tages. Das wäre wirklich cool. Und jetzt sind wir wieder bei FAT und die „Live In A Dive“-Serie ist wieder in Aktion. Es war also noch nie so einfach.

Ich freue mich darauf. Welche Art von Bands haben Dich zum Musikmachen gebracht? Gab es eine Einstiegsband für Dich?

Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem meine Mutter eine Menge Beatles, Electric Light Orchestra und Bob Dylan und solche Sachen hörte. Mein Vater hörte beispielsweise Earth, Wind and Fire. Eine ziemlich weitreichende und coole Mischung also. Aber ich habe auch einen älteren Bruder und was auch immer mein älterer Bruder Andrew hörte, wollte ich auch hören. So kam er zum Skateboarding und Snowboarding. Und durch die dazugehörigen Videos kam er zum Punk, weil die ganzen Soundtracks voll damit war. In den meisten dieser Videos waren FAT- und Epitaph-Bands zu sehen. Und dann habe ich angefangen, mich für all das ernsthaft zu interessieren. Die erste Band, in die ich mich so richtig verliebt habe, war Rancid. Ich bin 87 geboren, also passte mein Timing ja perfekt. Rancid hatten etwas Besonderes an sich, sodass ich sie gar nicht als Punkband gesehen habe, obwohl ich natürlich wusste, dass sie eine waren. Ansonsten waren es Weezer, Green Day und Nirvana. Aber aus irgendeinem Grund waren Rancid diejenigen, die mir wirklich im Gedächtnis geblieben sind. Ich weiß nicht, ob sie eine Einstiegsband sind, weil ich schon irgendwie auf all diese anderen Bands stand. In den Neunzigern aufzuwachsen, das war unglaublich. Es war das Beste, nicht nur wegen der Musikvideos, über die wir vorhin sprachen, sondern auch allein wegen der Musik. Es gab all diese fantastische Punk- und Rockmusik und alles andere, was zu der Zeit herauskam und es lief im Radio und im Fernsehen, also wirklich überall. Es war so unglaublich einfach. Ich war so verwöhnt. Aber ich weiß es nicht mehr so richtig. Es ist schwer zu sagen, ob Rancid meine Einstiegsband war oder ob ich überhaupt eine Einstiegsband hatte. Aber die genannten waren auf jeden Fall die Ersten. Aber das änderte sich auch immer wieder. Mein Bruder hat sich dann dem Hip-Hop zugewandt und ist jetzt ein DJ für House-Musik. Er liebt immer noch Skateboarding, er liebt Snowboarding und er hat immer noch seine Wurzeln im Punk, aber er hat sich einem anderen Musikgenre zugewandt, weil er wissen wollte, worin er sich musikalisch noch verlieben kann und wie er sein Leben verbringen wollte. Ich habe natürlich im Laufe der Jahre auch ein bisschen mehr, als nur den Punk erforscht, aber für mich ist der Punkrock das, wo ich wirklich geblieben bin. Ja, ja, da hatte ich Glück. Ich musste mich nicht allzu lange umsehen.

Das unmittelbare Glücksgefühl, wenn ich live spiele, bekomme ich nicht sofort, wenn ich eine Platte mache.<span class="su-quote-cite">Chris Cresswell</span>

Ich möchte ganz klassisch mit einer kleinen Schnellfragerunde das Interview beenden. Hast Du Lust?

Ja, gerne.

Sommer oder Winter?

Sommer

Live spielen oder im Studio aufnehmen?

Live. Einfach weil – ich weiß es ist eine Schnellfragerunde – aber live fühle ich mich, wie ich schon sagte, viel mehr, wie ich selbst. Es macht viel Spaß, Platten zu machen. Es ist aber anders. Das unmittelbare Glücksgefühl, wenn ich live spiele, bekomme ich nicht sofort, wenn ich eine Platte mache. Es ist ein langsamer Prozess, der sich aufbaut und ich liebe es. Aber ich denke, wenn ich zwischen den beiden wählen müsste, würde ich mich für live entscheiden.

Hast Du einen Lieblingssport?

Basketball.

Lieblingsmannschaft?

Die Toronto Raptors sind sicher in Ordnung.

Das macht Sinn.

(Lachen)

Lieblingsgetränk?

Lieblingsgetränk? Ehrlich gesagt, wahrscheinlich ein Kölsch.

Und die letzte Frage, da wir beim Punk Rock Holiday sind: Geht es später zum Fluss?

Auf jeden Fall. Das mache ich tatsächlich direkt nach diesem Interview.

Perfekt. Also lass uns einen Deckel darauf machen. Vielen Dank nochmal für das Interview. Das hat so viel Spaß gemacht und wir sind froh, dass ihr wieder da seid. Ich freue mich auf Eure Show.

Danke, danke. Es war ein Vergnügen, wir freuen uns wieder da zu sein.