Unser Archi hat sich mit seinen Sewer Rats auf den Weg in die Staaten gemacht. Um genauer zu sein, an die Ostküste Amerikas. Höhepunkt der gemeinsamen Reise mit den Musikerkumpels von The Jukebox Romatics sind sicherlich die beiden Gigs im Zuge des legendären The Fest in Gainesville. Was er sonst alles „on the road“ erlebte, berichtet er exklusiv in seinem Tourtagebuch. Nachdem er uns im ersten Teil über die Reise von New York City nach Gainesville berichtete, dürfen wir nun an der Rückreise der Kölner Band teilhaben.
„Wir wissen jetzt schon, wie sehr wir einander nach dreißig Shows auf zwei Kontinenten vermissen werden.“
Gainesville (FL), Loosey’s – “Fest 17”, Sonntag, 28. Oktober
The Fest ist einfach eine andere Welt – eine ganze Stadt im Punkrock-Ausnahmezustand und wir mittendrin. Dazu sintflutartige Regenfälle gefolgt von brütender Hitze. Amerika will echt zeigen, was es zu bieten hat. Die folgenden drei Tage werden damit verbracht, endlich mal etwas vernünftiger zu essen.
Meine Empfehlung für alle, die mal nach Gainesville kommen: Der Jamaikaner auf der „Hauptstraße“. Außerdem lohnt es sich durchaus ein paar der etwa 400 Bands anzuschauen, die das ganze Wochenende, verteilt auf etwa 20 Locations spielen. Dazu zählen für mich die Secret Shows von Red City Radio und Masked Intruder im kleinen Rahmen. The Menzingers, The Flatliners, Iron Chic und RVIVR auf der großen Open-Air-Mainstage und dazwischen kleine Akustik-Shows im örtlichen Bookstore. Es ist wie im Paradies. Nach dem ersten Tag wird man schon überall als einer der „Germans“ erkannt und findet überall jemanden zum Abhängen. Unsere Nebenmission bestand darin, möglichst viele Leute darauf aufmerksam zu machen, dass wir am Sonntag noch einmal als letzte Band des Festivals im Loosey’s spielen.
Wie gut klappte zeigte sich, als wir am Sonntag die Bühne im vollgepackten Pub betreten, draußen noch eine Schlange wartete und drinnen viele neue und alte Freunde auf uns warten. Ausnahmezustand! Es ist wie ein paar Tage zuvor, nur noch etwas wilder, chaotischer und besser – die freien Tage haben unserer Energie gut getan und die Fest-Besucher geben noch einmal alles, bevor es nach der Show zur (teils tränenreichen) Verabschiedung kommt.
Wir haben es geschafft!
Pensacola (FL), Live Juice Bar and More, Montag, 29. Oktober
Was soll nach dem Fest kommen? Mit dem erreichten Höhepunkt unserer Tour, ist alles was danach kommt nur noch schmückendes Beiwerk. Die Stimmung in unserer Reisegruppe ist vergleichbar mit dem Sieg im Finale der Fußball-WM – zum richtigen Moment wurde die beste Leistung abgerufen und ein Feuerwerk gezündet. Alle sind glücklich, aber auch verdammt platt. „Zum Glück“ haben wir wieder eine lange Fahrt vor der Brust, in der auffällig wenig geredet wird – es gibt wohl einiges zu verarbeiten.
Die Strecke ist mal wieder gesäumt von umgestürzten Bäumen, denn auch hier hat erst vor kurzem “Hurricane Michael” gewütet – ein Resultat davon ist, dass wir an einem Rastplatz halten und der Strom ausfällt, während Teile der Band gerade auf der Toilette sind. Alle werden rausgeworfen, bis das Problem behoben ist – jemand erzählt uns, dass das die letzten Tage häufiger vorkommt. Die Show findet dann in einer Saftbar statt, wieder so eine ungewöhnliche Location. Der Backstage ist in der Küche (das Gesundheitsamt würde in Deutschland durchdrehen) und für die Besucher scheint das alles andere als ungewöhnlich zu sein – Tische zur Seite, Instrumente aufgebaut und Go!
„An der Location begrüßt uns erst einmal ein Schild, das Waffen in der Bar verbietet. Draußen laufen jedoch Leute mit offen an der Hose getragener Pistole an uns vorbei.“
Columbus (GA), SoHo Bar & Grill, Dienstag, 30. Oktober
Auf den nächsten Tourhalt freuen wir uns schon besonders – wir verbringen den Tag bei der Familie vom Jukebox Romantics Drummer Norm, werden fürstlich bekocht und können endlich unsere Sachen waschen. Während wir essen und denken, wir haben noch mehr als eine Stunde Zeit bis zum Soundcheck, fällt uns auf, dass wir hier in einer anderen Zeitzone sind, als die Location, in der wir an diesem Abend spielen und dass dort in ein paar Minuten Load-In ist. Absolut unreal – zwischen unserer Bleibe und der Location verläuft einfach eine Zeitzonen-Grenze und das auf einer Strecke von rund 10 Meilen.
Also Beeilung: An der Location begrüßt uns erst einmal ein Schild, das Waffen in der Bar verbietet. Draußen laufen jedoch Leute mit offen an der Hose getragener Pistole an uns vorbei. Ja “Herzlich Willkommen”! Da hilft es auch nicht unbedingt, dass die Bar heute so amerikanisch, wie nur möglich aussieht. Dunkel, mit ein paar finsteren Gestalten an der Bar, im hinteren Teil spielen Leute Dart und Billard und vor der Bühne sitzen Leute an Tischen und schauen uns abschätzig beim Aufbauen zu. Die Bar wirkt so, als ob hier jeden Abend ein anderer Country-Sänger auftritt und heute eben durch einen glücklichen Zufall auch mal eine Punkshow stattfindet. Aber manchmal trügt der Schein auch und trotz der, für uns, obskuren Rahmenbedingungen nimmt uns das Publikum sehr offen auf, freut sich über unseren dummen deutschen Humor und lässt uns wissen, dass der Name der Bar “SoHo” für “Southern Hospitality” steht.
Nashville (TN), The Cat Factory, Mittwoch, 31. Oktober
Es ist Halloween und wir fahren nach Nashville. Dadurch, dass wir so nah an der Zeitgrenze übernachtet haben und unsere Uhren (und damit unsere Wecker) sich immer wieder von selbst umgestellt haben, starten wir mit einer Stunde Verspätung in den Tag. Dabei haben wir viel zu tun: Wir müssen uns noch die Kostüme für die heutige Show besorgen. Was liegt da näher, als zu einer großen Mall zu fahren, die sich auf Verkleidungen und Halloween-Zubehör spezialisiert hat? Natürlich sind wir heute Abend die Turtles, denn wie sollte es auch anders sein bei einer Band, die sich nach deren Lehrmeister Splinter benannt hat.
Dass die Fahrt nach Nashville mal wieder elendig lang ist, muss ich vermutlich nicht mehr erwähnen. Wir überqueren wieder 1-7 Zeitzonen und wissen schon gar nicht mehr wer und vor allem “wann” wir sind. Bei der Location des heutigen Abends angekommen, stellen wir fest, dass es offenbar eine Square-Dance-Halle mit einem Fassungsvermögen von etwa 1000 Leuten ist. Okaaaay. Nur offenbar gibt es ein paar Probleme mit dem Besitzer der Location, der nicht mehr erreichbar ist und der Soundguy ist die unfreundlichste Person, die wir bisher kennengelernt haben.
Zum Glück spielt in der Bar nebenan gerade ein Country-Duo und Schorni Walker entschließt sich kurzerhand seinen Bass auszupacken und die beiden zu unterstützen. Unfassbar – wir sind tausende Kilometer von zuhause entfernt und der Typ spielt hier plötzlich mit zwei wildfremden Musikern ein paar Hits von Hank Williams und Johnny Cash. Währenddessen eskaliert die Situation mit dem Soundguy, der plötzlich Miete für seine Anlage haben möchte und damit droht die Show platzen zu lassen. Die Veranstalter, eine Gruppe junger Punks, beschließen deshalb, das Konzert in ein “Punkhaus” zu verlegen, da gibt es zwar nur Strom und kein fließendes Wasser, aber wir könnten die Show durchziehen und müssten nicht alles abblasen. Halloween haben wir uns ein bisschen anders vorgestellt, aber wir machen das beste aus der Situation – also ab in die “Cat Factory” in einen Vorort von Nashville. Natürlich kommen aufgrund der Verlegung der Show ein paar Leute weniger, aber immerhin spielen wir und müssen nicht unverrichteter Dinge von dannen ziehen.
Video: The Jukebox Romantics – Gringo Starr
„Nach den vergangenen Tagen mit Hausshows, Saftbars und Wild-West-Kneipen, ist es fast schon etwas langweilig, dass wir mal wieder in einer normalen Location spielen.“
Deep Gap (NC), Cabin in the Woods, Donnerstag, 01. November
Die nächste Show ist eine geplante Hausshow in einer Hütte im Wald. Schon 20 Meilen vor Ankunft haben wir keinen Handyempfang mehr, fahren durch Berg und Tal und vor allem dichten Nebel. So gehen Horrorfilme los. Funny genug, dass die Location auch noch so heißt wie ein Horrorfilm. Als wir die “Hütte” endlich finden, kommen wir aus dem Staunen nicht heraus – schließlich ist es mehr ein Landhaus, was auch eine Villa sein könnte, als alles andere. Die supernetten Gastgeber haben ein paar Freunde eingeladen und wir spielen in ihrem Keller. Die Vorband ist dann auch gleich die Grunge-Surf-Rock-Band des Gastgebers und gar nicht so übel. Da der Abend irgendwie etwas skurril anderes ist, beschließen wir eine Sewer Romantics Mashup-Show zu spielen, jeder darf einen Song mit der jeweils anderen Band spielen oder singen oder zumindest so tun und so kommt es dazu, dass ich bei “Too Punk For You” nicht gebraucht werde und tatsächlich stagedive.
Wie es sich für Hausshows gehört, wird danach noch ordentlich “Power Hour” gespielt (wer ein neues Trinkspiel sucht – einfach mal bei YouTube eingeben, die Horrorfilm-Variante macht auch nüchtern Spaß) und einer nach dem anderen schläft auf dem Boden ein. Da wir im Dunkeln und im Nebel angekommen sind, ist es umso überraschender, welcher Ausblick sich uns am Morgen bietet. Bis auf den schlechten Handyempfang kann man da schon neidisch auf die Leute sein, die hier wohnen.
Roanoke (VA), The Front Row, Freitag, 02. November
Nach den vergangenen Tagen mit Hausshows, Saftbars und Wild-West-Kneipen, ist es fast schon etwas langweilig, dass wir mal wieder in einer normalen Location spielen. So langweilig, dass ich betonen muss, dass es auf der Fahrt das erste Mal unfassbar geregnet hat und kalt war. Ansonsten hatten wir einen perfekten Indian Summer bzw. goldenen Herbst, wie man back home sagt. The Front Row ist eine echt nette Kneipe mit super Personal und es kommen Leute, die extra zweieinhalb Stunden für die Show angereist sind und es mit einem Kurzurlaub in Virginia verbinden – das wissen wir echt zu schätzen. Es ist auch sonst verdammt voll im Laden, was immer wieder überrascht in einer Stadt, von der man vorher noch nie etwas gehört hat. Das Publikum reicht von jungen Punkgirls mit Ratten (YEAH!) bis zu Rudeboys mit Zylindern – so haben wir es gern. Die Stimmung ist so gut, dass das verschüttete Bier im Publikum den Platz vor der Bühne in eine einwandfreien Eisfläche verwandelt, die dafür sorgt, dass immer wieder tanzende Menschen in uns und unsere Verstärker rutschen und sogar die Anlage umwerfen. Punk at it’s best.
Nach der Show erfülle ich mir noch einen Traum und kaufe endlich eine “Crystal Pepsi” – schmeckt wie Cola, sieht aus wie Sprite. Waaaas?
Wir übernachten im Haus der Mutter von einer Person aus der Crew vom Fest. Das Ambiente erinnert an eine Mischung aus 60er-Jahre-Sitcom und einer Antiquitäten-Handlung. Gleichzeitig faszinierend und gruselig, wenn dich im Schlaf die Augen von 20 Porzellan-Puppen beobachten oder man sich selbst in einem Spiegel über dem Bett bewundern kann, wie es bei Chris und Terry der Fall war.
„Ich höre traurige Jersey Songs, der Regen prasselt auf das Autodach und ich schlafe mit einem weinenden und einem lachenden Auge ein.“
Stroudsburg (PA), Dustfest at Electric Chair, Samstag, 03. November
Am nächsten Tag muss ich dem “leckeren” Essen Tribut zollen und habe den ganzen Tag Magenkrämpfe aus der Hölle kombiniert mit etwas, was sich wie Schüttelfrost anfühlt. Darum verpasse ich die meisten der fünf anderen Bands schlafend im Van. Irgendwann sind die Batterien offenbar leer. Die Show findet heute in einer umgebauten Garage statt und obwohl wir komplett im Niemandsland sind, finden unfassbar viele Leute den Weg dorthin. Also nicht jammern, sondern abliefern – selbst wenn das bedeutet, das ganze Konzert einen Zipper zu tragen und keinen Tropfen zu schwitzen. Das Publikum versucht mich mit selbstgebranntem Schnaps zu heilen, was ich aber dankend ablehne. An dem Abend könnte man fast glauben, ich wäre ein arroganter, langweiliger Nichttrinker, der nur zur Show kommt, da etwas Spaß hat und dann wieder verschwindet. Ja, ich bin ein langweiliger Nichttrinker – aber der Rest ist sonst nicht so, echt! Zu meiner Freude wird am Abend abgestimmt, dass wir die zwei Stunden Fahrt nach Hause zu Bobby von den Romantics in Kauf nehmen. Ich glaube, eine Nacht auf einem fremden Boden hätte mir an dem Tag den Rest gegeben.
Trenton (NJ), Championship Bar, Sonntag, 04. November
Letzter Tourtag, mir geht es wieder besser. Auch weil Bobbys Mutter uns am Morgen zum Brunch einlädt und wir ein bisschen Zeit haben zu entspannen, bevor es am Abend nach Trenton geht. Es ist Sonntag und es spielen wieder einmal sechs Bands – das werde ich vermutlich nie verstehen, aber immerhin sind kleine Konzerträume dann schon mit den Bandmitgliedern gut gefüllt und es fällt nicht auf, wenn sich nur wenige Gäste vor die Tür trauen. Mit uns spielen Boss’ Daughter, John Underwood und Houston & The Dirty Rats Bands, die uns nun schon mehrere Male auf dieser Tour über den Weg gelaufen sind. Das macht es nicht wirklich leichter, so einen Tourabschluss zu “feiern”. So kommt es tatsächlich vor, dass bei den jeweiligen Sets ein paar Tränen fließen.
Wir wissen jetzt schon, wie sehr wir einander nach dreißig Shows auf zwei Kontinenten vermissen werden. Zum Glück müssen wir nicht weit fahren, sondern bleiben die Nacht in der 10er (!!) WG direkt über der Bar.
Da wir in Trenton sind, wird uns empfohlen, dass mindestens eine Person im Wagen schläft, damit nichts geklaut wird. Das nehme ich als willkommenen Anlass, der melancholischen Abschiedsfeier früh zu entfliehen und einmal, wie es sich gehört, eine Nacht im Tourvan zu verbringen. Ich höre traurige Jersey Songs, der Regen prasselt auf das Autodach und ich schlafe mit einem weinenden und einem lachenden Auge ein.