Jera On Air – Der Samstag

Foto: Natasja de Vries (Anchor Focus)

Und ganz nebenbei scheint dieses Universum es gut mit diesem Punkrock zu meinen

Den Freitag des Jera On Air noch in den altersschwachen Knochen, klopft bereits der nächste Festivaltag mit einer ordentlichen Ladung unfassbar großartiger Bands an die Zelttür. Nach der ersten Hopfenkaltschorle geht es aber auch dem geschundenen Festivalkörper wieder besser und die Planung für den heutigen Tag kann beginnen. Der Samstag steht im Zeichen der Punkkids – jüngeren und älteren Semesters. Und auch das sich am Freitag manifestierte Motto „Zu viele gute Bands und zu wenig Zeit“ schwebt eisern über dem mit beiden Händen umschlossenen Timetable – Damn. Aber meckern hilft ja bekanntermaßen nichts und so geht es wieder auf ins Getümmel. Und ganz nebenbei scheint dieses Universum es gut mit diesem Punkrock zu meinen: Erfreut wird die eine oder andere Schäfchenwolke am Himmel wahrgenommen – bleibt aber mehr Wunsch, als Realität. Also: Ab in die Sonne – es wird heiß!

Den Anfang macht an diesem sonnigen Festivaltag die italienische Hardcore Band Slander. Schnell wird die noch durchaus schläfrige Festivalgemeinde lautstark geweckt und zum Morgensport animiert. Dass die Italiener schon lange in aller Munde sind, kann man deutlich an den zahlreichen Zuschauern ausmachen. Erstaunt ist wahrzunehmen, dass sich hier in den Niederlanden keiner erstmal fünf Stunden aus seinem Sud schälen muss – das Zelt ist bereits um 12.00 Uhr überraschend gefüllt

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Nach kurzer Verschnaufpause kommen wir schon zum nächsten Geheimtipp, diesmal aus Fernost. Crystal Lake aus Tokyo pusten mit ihrem Metalcore gehörig den Staub aus den Boxen und die Menge macht schon wieder kräftig mit. Ohne Witz! Duracell-Häschen sind nichts gegen dieses Publikum. Überall zufriedene Gesichter können nur bedeuten, dass die Japaner, trotz anfänglicher technischer Schwierigkeiten, rundum überzeugt haben.

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Rüber geht’s im direkten Anschluss zur Eagle-Stage, wo es bereits richtig proppevoll ist. Alle warten gespannt auf Boston Manor. Die Jungs sind aktuell so etwas, wie die Band der Stunde und ihre aktuelle Single „Halo“ schlug ein wie eine Bombe. Kein Wunder also, dass auch hier das Zelt bereits in den frühen Stunden des Tages so gut wie aus allen Nähten platzt. Boston Manor haben richtig Laune und der Funke springt sofort aufs Publikum über, welches sich extrem textsicher zeigt und lauthals mitsingt. Ganz großes Kino der Jungs aus Blackpool von denen wir in Zukunft mit Sicherheit noch einiges erwarten dürfen.

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Kommt auf den Moshpit noch was drauf?

So langsam meldet sich der kleine Hunger und was isst man wohl am besten in Holland? Richtig, Pommes! Und verdammt leckere noch dazu. Da kann der nächste Moshpit kommen. Und der lässt nicht lange auf sich warten. Auf der Vulture-Stage können jetzt wieder Bauklötze gestaunt werden, denn A Wilhelm Scream entern die Bühne und lassen ihren höchst technischen Punkrock so was von verdammt leicht aussehen, dass die anwesenden Hobbymucker wahrscheinlich direkt ihr Instrument an den Nagel hängen wollen. Aber vor allem machen die Amis jede Menge Spaß und das Publikum feiert Songs wie „5 to 9“ oder „The King Is Dead“. Die Jungs um Frontsau Nuno Pereira haben wie immer eine Menge Spaß mit ihrem Publikum.

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Noch die letzten Akkorde im Rücken, heißt es schnell wieder rüber zur Eagle-Stage zu düßen, denn jetzt kommt eine Band, die lange nichts von sich hören lassen hat. Die grandiosen Adept sind wieder aus der Versenkung gekommen und lassen es von Sekunde eins gehörig krachen. Es wird ohne Rücksicht auf Verluste gemosht, geheadbangt, im Circle Pit durchgedreht und auch Körper bei einer zünftigen Wall of Death malträtiert. Das war ein richtig amtlicher Auftritt der Schweden und hoffentlich bleiben sie uns noch lange erhalten.
Lange Zeit zum Ausruhen nach diesem Spektakel gibt es jedoch nicht, denn direkt im Anschluss kommen ein paar richtig gestandene Musiker auf die Vulture-Stage.

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Dog Eat Dog, die wohl jeder in seiner Jugend irgendwann mal gehört hat, entern die Bühne und versprühen sofort gute Laune. Die Menge tanzt ausgelassen zu Hits wie „Rocky“ oder „No Fronts“ und feiert mit den Herren aus New Jersey auf Teufel komm raus bis zum Ende Ihres Sets – das ist definitiv mehr als Kult, das ist Musikgeschichte in 3D.

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Rotz’n’Roll an jeder Ecke

Jetzt wird’s roh und rotzig, denn Iron Reagan fangen direkt im Anschluss auf der Eagle-Stage an, diese komplett auseinanderzunehmen. Das Publikum dreht zu Songs wie „Miserable Failure“ oder „A Dying World“ dermaßen frei, dass es ein Wunder ist, dass niemand ernsthaft zu Schaden kommt. Die Jungs aus Richmond, Virginia freut dies umso mehr und stachelt das Publikum immer weiter an, noch mehr Randale zu machen. Und wie bei so vielen anderen Bands dieses Wochenendes bleibt zwischen all dem Spaß auch Platz für die ernsten Themen dieser Welt. Vermehrt sprechen sich die Musiker für Gemeinschaft, gegen Fremdenfeindlichkeit und all diesen Scheiß unserer Zeit aus.

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Spätestens jetzt ist jeder Festivalbesucher wieder auf Betriebstemperatur und gewappnet für den restlichen Abend. Wir bleiben in der rotzigen Ecke und eilen im Sauseschritt zur Buzzard-Stage, wo schon Bad Cop/Bad Cop in den Startlöchern stehen. Die Damen machen keine Gefangenen und feuern aus allen Rohren ihre Songs in die Menge, die nur zu gerne dazu abfeiert. Gitarristin Jennie Cotterill kommt um einen herzhaften Lachanfall nicht herum, als ein Zuschauer auf einem aufblasbaren Delfin surfend eine Runde auf der Menge dreht. Sehr sympatisch! Die Schützlinge von Fat Mike liefern verdammt gut ab und die Menge entlässt die Ladies unter tosendem Applaus in den wohlverdienten Feierabend. Und wenn wir von rotzig reden, dann meinen wir ausschließlich den roughen Sound der Damen – Cheers!

Video: Jera On Air – Aftermovie 2018

Sichtlich zufrieden geht’s wieder zurück zur Eagle-Stage, wo erneut ein richtiges Schwergewicht der Punkrock-Szene sich die Ehre gibt. No Fun At All (Interview) haben trotz der vielen Jahre auf ihrem Buckel nichts von ihrer Schnelligkeit und Spritzigkeit eingebüßt und hauen einen Hit nach dem anderen raus. Das Publikum ist ausdauernd in bester Partystimmung und pogt alles nieder, was nicht bei drei aus dem näheren Umfeld verschwunden ist. Von dem, was die Schweden abliefern, kann sich so manche Jungspund-Band noch eine große Scheibe abschneiden.

Emotionen und Sensationen auf dem Jera On Air 2018

Emotional wird es im Anschluss bei Being As An Ocean. Die Truppe um Frontmann Joel Quartuccio ist bekannt für emotionsgeladenen Shows. Das soll heute nicht anders sein. Die Kalifornier schaffen wie immer eine unglaublich dichte Atmosphäre und die Menge hängt Joel förmlich an den Lippen. Das Publikum zeigt sich mal wieder von seiner famos textsicheren Seite und singt lauthals die Songs der Jungs mit. Vor allem beim letzten Song „The Hardest Part Is Forgetting Those You Swore You Would Never Forget“ herrscht richtige Gänsehautatmosphäre vor der Bühne, wie sie nur Being As An Ocean hervorzaubern können. Emotionen und vielleicht ein bisschen Melodic-Hardcore-Magie pur.

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Zurück vor der Eagle-Stage bahnt sich für viele der Festivalbesucher eine kleine Sensation an. Niemand hat vor rund einem Jahr überhaupt daran geglaubt, diese Band jemals erneut live erleben zu können. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger und nun schickt sich niemand geringeres als Underoath an, der Menge zu zeigen, dass sie nichts von ihrer Qualität eingebüßt haben. Und holla die Waldfee, das haben die Herren aus Florida definitiv nicht. Wahnsinn, was Underoath für eine unglaubliche Live-Energie an den Tag legen. Da ist es nicht verwunderlich, dass dieser Funke direkt aufs Publikum überspringt und dieses ebenfalls so heftig feiert, als ob es keinen Morgen geben wird. Neben neuen Songs ihres aktuellen Albums „Erase Me“, die im übrigen sehr gut beim Publikum ankamen, haben die Herren ein buntes Potpourri an Songs der vorherigen Alben, wie z.B. „It’s Dangerous Business Walking Out Your Front Door“ oder „In Regards To Myself“ mitgebracht. Sehr zur Freude des Publikums. Underoath sind und bleiben einfach das Maß der Dinge, wenn es um Posthardcore geht.

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Im Eiltempo geht es nun wieder zur Buzzard-Stage, wo eine der Newcomer-Bands der letzten Jahre für ordentlich Action auf und vor der Bühne sorgt. Alazka beweisen einmal mehr, warum die Jungs aus Recklinghausen in letzter Zeit als eines der Aushängeschilder im Melodic-Hardcore-Sektor gelten. Die Band hat sichtlich gute Laune und wickelt die Menge spielend um den Finger. Das Publikum hat sichtlich Spaß an dem ganzen Spektakel und feiert mit einer nahezu unmenschlichen Energie das Set der Jungs.

Legenden, wohin das Auge reicht

Auf den letzten Metern des Festivals geben sich noch einmal wahre Legenden gegenseitig die Klinke in die Hand. Das hat sehr sicher im Vorfeld schon für den einen oder anderen feuchten Schlüpfer gesorgt – so viel ist ganz unbestritten sicher. Den Anfang dieses Reigens machen die Helden der Skate-Punk-Szene, die legendären Satanic Surfers (Interview). Die haben nach langer Abstinenz eine so erfolgreiche Reunion-Tour absolviert, die allen Beteiligten soviel Spaß machte, dass man so mir nichts, dir nichts ein neues Album mit dem passenden Titel „Back From Hell“ aus dem Ärmel schüttelte. Selbiges schlug einfach auch direkt konfettibombenesk in der Szene ein. Die Surfers sind wieder da und das ist auch gut so. Die Crowd feiert, als hätte der Teufel persönlich den Mosh Pit eröffnet. Kein Wunder bei solch wahnsinnig legendären Songs wie „Hero Of Our Time“ oder „Head Under Water“. Mit den bereits erwähnten No Fun At All geben sich zwei der größten schwedischen Skate-Punk Bands die Ehre – hätte man Millencolin noch vor Ort, wäre die Heilige Dreifaltigkeit an einem Platz vereint. Da muss man schon mal würdevoll den Hut ziehen und wahrnehmen, was für ein Glück man hat, so viel lebende Musikgeschichte vor dem eigenen Auge und Ohr erleben zu dürfen.

Die nächste (und man muss das einfach immer wieder genau so formulieren) Legende steht schon in den Startlöchern und man darf sich sicher sein, dass ohne diese Herren der Ska-Punk heute nicht das wäre, was er ist. Genau, die Rede ist von Less Than Jake. Das Publikum muss gar nicht erst groß gebeten werden und macht von Anfang zu den Songs der Herren aus Florida gewaltig Bambule. Pogo und Circle-Pits werden zum ungeschriebenen Gesetz – direkt neben überschäumender Euphorie und Freude. Die Songs zaubern immer wieder ein Grinsen aufs Gesicht und die Weisheit „Ska-Punk macht einfach glücklich“ trifft auch heute wieder zu 100% zu. Echt herrlich.

Nicht minder legendär, aber dafür um einiges härter, hauen uns Stick To Your Guns eine gehörige Portion feinsten Orange-County-Hardcore um die Ohren. Die Truppe um Frontmann Jesse Barnett ist heute sichtlich gut aufgelegt und sprühen nur so vor Energie und Spielfreude. Ob die Jungs sich etwas von der durchweg blendenden Festivalatmosphäre anstecken lassen haben? Wer weiß. Darf aber auch egal sein, denn solch ein Feuerwerk nehmen die Zuschauer nur zu gern als Steilvorlage, um die Vulture-Stage in ihren Grundfesten zum Beben zu bringen. Vor allem textsicher und stimmgewaltig zeigt sich das Publikum zu Songs wie „Amber“ oder „Nobody“ und ist dabei fast lauter als die Band selbst. Ein wirklich mehr als gelungener Abschluss auf der Vulture-Stage. Bleibt nur noch der krönende Abschluss der 16. Ausgabe des Jera On Air.

„You’ve listened to 20 Minutes of good Music, now you’ll hear an hour of crap“

Diesen macht heute wohl die Legende unter den Legenden des Spaß-Punk. The one, the only, NOFX! Und das es hier noch einmal richtig zur Sache geht, versteht sich wohl von selbst. Aber bevor es mit Fat Mike und seinen Mannen los geht, hat das Quartett noch eine ganz besondere Überraschung für das Publikum parat. „The Decline“ wird von einem 58-Mann starkem Orchester performt. Wenn ihr davon irgendwelche Aufnahmen im Netz findet, schaut sie Euch an. Das war echt der absolute Wahnsinn und die Herren waren mehr als sichtlich gerührt. Mit diesem Satz eröffnet Fat Mike das eigentliche Set der Band. Das Publikum holt noch einmal alles aus den geschundenen Körper. Es wird gepogt, es wird gedived und im großen Kreis wie verrückt gerannt. Die Herren sind nicht umsonst eine der besten Live-Bands auf diesem blauen Planeten und das beweisen sie durch die Bank. Fat Mike ist wieder in gewohnt sympathisch-pöbelnder Art unterwegs, welche für den einen oder anderen Lacher sorgt. Ansonsten wird zu Songs wie „Linoleum“, „Six Years On Dope“ oder „Franco Un-American“ das Jera On Air noch ein letztes Mal zum Beben gebracht. Mit dem allseits beliebten „Reeko“ hätte man wahrscheinlich auch keinen besseren Abschluss für ein wirklich grandioses Festival finden können.

Video: NOFX – Jera On Air

Unter ohrenbetäubenden Applaus werden die Herren von der Bühne verabschiedet und man blickt überall in mehr als glückliche Gesichter. Zum Glück haben die Bierbuden noch auf und mit einem wohlverdienten Schlummertrunk geht es zufrieden und auch ziemlich kaputt zurück zum Zelt. Andere lassen ein wirklich wunderbares Wochenende zwischen anderen Unermüdlichen auf den After-Show Parties zu Ende gehen. Das Jera On Air hatte alles, was man für ein Weltklasse-Festival braucht: Gute Bands, eine noch bessere Festivalmeute und ein wirklich sehr gut organisiertes Drumherum. Was will man mehr? Wir sagen: „Danke Jera On Air! Wir kommen wieder!“