Pascow Alben werden seit geraumer Zeit spürbar mit einer besonderen Spannung erwartet. So ging es auch Archi und Maria. Und das nicht nur, weil die beiden sich nach so langer Zeit auf ein gemeinsames KreuzverHör freuten. Schnell war klar: Der Versuch, die neuesten Pascow Texte aufzudröseln, gleicht einer Doktorarbeit. Was übrig bleibt ist die Analogie zum Closer „Boris Blocksberg“. Bibi Blocksbergs Bruder Boris verschwand nach Folge 7 – eine versteckte Botschaft? Im Pascow Kosmos sehr wahrscheinlich. Die Frage ist also: Welches Ende bleibt hier offen?! „Sieben“. 2023. Pascow. Große Lieder für die müde KämpferInnenseele!
Nichts vorwegnehmen
Archi: Endlich mal wieder ein KreuzverHör mit dir Maria. Das ist ja schon ewig her. Und dann auch noch für so ein passendes Thema – das neue Album von Pascow! Das gab’s mit uns zu Pascow zuletzt 2019. Damals erschien „Jade“. Freust du dich?
Maria: Unser letztes KreuzverHör ist mittlerweile ein dreiviertel Jahr her. Ich freue mich wie Bolle, dass wir hier wieder zusammenkommen und somit auch das zweite Mal dank neuer Musik aus Gimbweiler.
Archi: Sogar ein und ein dreiviertel Jahr! Viel zu lange!
Maria: Stimmt. Es ist ja schon 2023. Irre. Umso schöner!
Archi: Natürlich würde ich erst einmal fragen, wie es dir seitdem ergangen ist (als hätten wir nichts voneinander gehört), aber das kauft uns niemand ab. Darum zum Thema: Wie fandest du denn die beiden Singles, die bisher draußen sind? Die haben mich ja mit gemischten Gefühlen in „Sieben“ starten lassen, aber ich möchte auch nichts vorwegnehmen.
Ich war doch gerade noch nach Norden trampen
Maria: Ich, bzw. meine Hülle ist gealtert – du weißt ja, eins meiner liebsten Themen. „Himmelhunde“ und „Königreiche im Winter“ sind solide Pascow Songs. Tatsächlich fand ich die, wie soll ich sagen, bis zu dem Tag, an dem ich den Rest hören durfte, schon auch stark. Und wie sieht es bei Dir aus?
Archi: Ach, das Alter zieht ja an niemandem von uns vorbei – auch an Pascow nicht. Das mittlerweile siebte Album! Ich war doch gerade noch nach Norden trampen … Aber wie schon gesagt, ich hatte gemischte Gefühle. Im KreuzverHör zum letzten Album war ich ja nicht so sehr voll Euphorie und die erste Single „Himmelhunde“ hat dort angeknüpft – wie Du schon sagt „solider Pascow Song“. Dann kam aber „Königreiche im Winter“ und sie hatten mich wieder!
Maria: Ich unterbreche Dich mal ganz unverschämt und möchte an der Stelle direkt nach „Mailand“ und „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ fragen.
Archi: Da überspringst Du ganz frech mein Lieblingslied der Platte, aber das ist okay. Wenn „Mailand“ nicht die nächste inoffizielle Hymne auf jeder Demo wird, dann weiß ich auch nicht. Erst war ich erschrocken über die Streicher und dachte „Jetzt gehen sie zu weit“, aber schon als sie das zweite Mal einsetzten, dachte ich: „So muss es sein!“.
Und „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ ist beim ersten Hören schon ein großer Gänsehaut-Moment für mich gewesen – allein der Text gepaart mit der Wut von Sänger Alex ist ein großes Highlight für mich. Aber wie kommst Du genau zu den beiden Songs?
Maria: „Mailand“, Archi! Ich lag in meinem Bett und war eigentlich kurz vorm Einschlafen und dann habe ich gesehen, dass Sebastian den Stream geschickt hat und konnte nicht anders, als reinzuhören und dann stimmte sich „Mailand“ an und plötzlich spürte ich etwas, was ich ohne es wahrzunehmen, schon eine Weile nicht mehr spüren durfte. Ich wusste, dass keiner der Songs, die ich in vielen Monaten als Hymne bezeichnet hatte, ein dermaßen hymnenhaftes Meisterwerk war, wie „Mailand“. Und dann spitzten sich meine Ohren schon nach der ersten Strophe immer mehr und ich merkte, wie pure Aufregung durch meinen Körper kroch. Ich fühlte mich ein bisschen wie damals in Hamburg vorm Wasserwerfer und mein Herz bebte vor Freude. Dieses Lied ist für mich das blanke Bewusstsein für Widerstand – auf die gute Weise. Dieses Album ist ja eh textlich wie eine englische Häkeldecke, aber dann kommen noch so unfassbar intelligente und provokante musikalische Arrangements dazu … hold my Weißweinschorle, ey!
Archi: Über den Begriff „englische Häkeldecke“ musste ich mehr lachen, als ich zugeben will und musste erstmal googeln, aber dann habe ich die Symbolik absolut verstanden. Mich hat „Mailand“ noch ein Stückchen weiter zurückgetragen, zum G8-Gipfel in Heiligendamm, aber genau die gleichen Emotionen wie bei dir hervorgerufen. Ein Hoch auf die „letzten Anarchisten dieser Stadt“!
Maria: Die meinen die Flora, oder? Ich habe eine Weile hin und her überlegt, weil mir mehrere Bilder vor die Augen kamen.
Songtexte, wie ein Brennglas
Archi: Ich denke auch, dass der konkrete Bezug zur Flora da ist, aber eben nicht nur. Davos hält ja den jährlichen Weltwirtschaftsgipfel ab, in Stockholm war der erste Klimagipfel vor mittlerweile etwas mehr als 50 Jahren – „Der freie Fall macht alle gleich“. Das ist meiner Meinung nach schon immer das Schöne an Pascow gewesen: Sie wühlen sich so tief in ganz spezielle Themen, nur um dann doch etwas sehr Allgemeines damit auszudrücken. Wie im bereits erwähnten „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, wo es heißt: „… und Den Helder dann zum allerletzten Mal dem Wasser weicht“ – hier könnte man statt „Den Helder“ mittlerweile auch plump „irgendeine Stadt am Meer“ benutzen, aber nicht mit Pascow – durch die absolute Spezifikation legen sie ihre Songtexte wie ein Brennglas auf Themen wie in diesem Beispiel den Klimawandel.
Maria: „ … und der Teufel schickt uns einen Kuss. Wir haben von alledem gewusst!“ – was für eine großartige Zeile für genau das, was du beschreibst. Allerdings nützen auch die besten Pascow Zeilen nichts, wenn der Geist dieser Gesellschaft sich gefühlt mittlerweile selbst fragt, ob das alles noch ertragbar ist. Mittlerweile ist „Mailand“ auch als letzte Auskoppelung vor Albumrelease veröffentlicht und ich höre durchweg Begeisterung.
Archi: Eine grandiose Zeile aus einem grandiosen Song! Für mich 100% Pascow. Da hatte ich auch beim ersten Hören direkt Gänsehaut. Da zeigt sich auch wieder, dass die Band eine Entwicklung hinter sich hat – weg von der (selbsternannten) „kryptischen Scheiße“ hin zu klaren Worten. Auch „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ nimmt kein Blatt vor den Mund – wie auch, wenn die Bedrohungen so klar zu erkennen und zu benennen sind.
Maria: Gutes Stichwort! Pascow entwickeln sich ja gefühlt auf jedem Ihrer Alben weiter. Diese Entwicklung gehört mittlerweile auch zu der Band, wie ihre Texte zum gesellschaftlichen Wahnsinn der jeweiligen Zeit. Ich finde es richtig gut, dass der Finger immer wieder auf die eigene Verantwortung gedrückt wird: „Alle Märchen leben von denen, die an sie glauben. Jedem eine Wahrheit, jeder Gier die eigne leichte Beute.“ – es ist ja auch echt schizophren: einerseits haben wir Menschen unter uns, die Fakten, wie die Existenz einer Klimakrise oder Pandemie leugnen und auf der anderen Seite, sollte auch jeder und jede einmal mehr in den Spiegel schauen und sich fragen, wie oft wohl am jeweiligen Tag schon irgendein Ernst der Lage vermieden wurde. Archi, sind wir am Arsch?
Profit in “Juicy Bars”
Archi: Sind wir! Und das nicht nur im globalen, sondern auch im lokalen Sinne. Bei mir „vor der Haustür“ werden gerade ganze Dörfer weggebaggert, um Kohle-Förderung zu ermöglichen – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Existenzen und Geschichte verschwindet, nur um den Profit für Großkonzerne zu steigern. Genau daran knüpft auch der Song „Monde“ an, mein Favorit der Platte, der das gleiche aus einer anderen Sicht thematisiert – ist es mittlerweile normal, dass jede (Innen-)Stadt gleich aussieht? Dass das kulturelle Leben über die vergangenen Jahre immer mehr platt gemacht wurde und Sushi-Läden oder (wie Alex singt) „Juicy Bars“ weicht? Dass Mieten systematisch in die Höhe getrieben werden, Vielfalt verdrängt und alles modernisiert wird, um Städte zu errichten, in denen es sich bald niemand mehr leisten kann zu wohnen? Und andererseits werden Menschen aus ihren Dörfern zwangsgeräumt. Ich bin da ganz bei Pascow: „… wenn die Städte alle gleich sind, gehe ich nicht mehr hin!“
Maria: Wie eine an die eigene Moral und Werte erinnernde Therapie, aber auch den so schön ignorierten Verlust der eigenen Prinzipien. Dazu passt ganz gut, dass du RWE, Lützerath und Co. ansprichst. Nachdem ich mich nämlich stundenlang wie ein Rohrspatz über die absolut nicht nachvollziehbare Bullengewalt und die leider zu oft dazugehörigen alltagstaugliche Floskeln wie: „… die machen ja auch NUR ihren Job“ aufgeregt habe und nicht von den Bildern aus NRW lassen konnte, besetzte die Frage, warum ich eigentlich nicht selbst vor Ort sei und so schön bequem vom eigenen Sofa krakeele, meine Gedanken. Das ist doch irgendwie auch scheiße – da hast du verinnerlicht, um was es geht und bekommst trotzdem den Hintern nicht hoch, weil das eigene Leben in der fett gefressenen Komfortzone viel zu elegant ist und auch ich immer wieder vergesse, dass selbst wir Punks nicht vor dem kapitalistischen Gespenst, welches uns den letzten Wert unterm Arsch wegfrisst, gefeilt sind. Das ist echt scheiße. Gut, dass auf „Sieben“ nicht nur so wunderschön das R gerollt, sondern auch das eigene Gesicht in den Spiegel gedrückt wird.
Archi: Auf jeden Fall und das ist auch der größte „Aha-Effekt“ den ich von der Platte mitnehme: Punk macht es sich immer leicht, alles und jeden zu kritisieren, aber fasst sich selbst selten an die eigene Nase. Pascow fasst nicht nur an die Nase, sondern bricht sie! Doch es ist nicht alles nur Kritik, es finden sich auch Liebeserklärungen an das Verrückte, Dreckige, Wirre und „Andere“ auf dem Album. Bestes Beispiel ist hier „Vierzehn Colakracher“.
Zwischen Spinnern und Verlierern
Maria: Oder Wall-E und Eves Tanz durchs Weltall.
Archi: Als ich den Song gehört habe, hab ich gedacht, dass ich den Film mal wieder schauen muss. Eine der tragisch-schönsten Geschichten.
Maria: Deswegen beeindruckt mich der Song echt ziemlich. Ich sage es ja, so großartig intelligent verstrickt, wie ein englisches Häkelmuster. „Es ist egal, an wen du glaubst und was du weißt. Wodurch wir darauf gehen oder all der Mist so heißt und mein Gott, vielleicht schmeißt man auch uns bald raus. Doch zwischen Spinnern und Verlierern halten wir es gut aus“, „Vierzehn Colakracher“ ist ein Song zum bewusst oder romantisiert identifizieren. Ich erinnere mich noch gut, dass ich beim ersten Hören sehr gespannt gelauscht habe und am Ende des Songs laut lachend vor Begeisterung zusammengebrochen bin – was für ein Ende eines Albums. Mit dem Song sollten junge Menschen ihre Charaktere bilden! „Die Elite fickt die Elite“ – mehr muss man dazu wahrscheinlich gar nicht sagen.
Archi: Ein unfassbar starkes Statement am Ende. Wobei Pascow DORT dann doch nochmal ein wenig Deutungsspielraum gelassen hat, denn es kann auch als Aufforderung gesehen werden „Die Elite – Fickt die Elite“, das hat mich schmunzelnd zurückgelassen, wie so ein Satz doch von mehreren Seiten gelesen werden kann. Aber vergisst du etwa das Outro „Boris Blocksberg“?
Maria: Ähm, ja! 😀 Vielleicht vermeide ich den Gedanken, dass Boris nach Folge Sieben rausgeschrieben wurde. Eine Anspielung? Will ich gar nicht wissen! Es ist auch so noch so viel vergessen! „Tom Blankenship“ oder „Von unten nichts Neues“ sind auch super stark! Aber kurz nochmal zurück zur Deutungsfreiheit. Spannend nämlich, dass ich mich gerade fragte, was wohl die anderen Schwestern der Freiheit sind, während Pascow diese hier personifiziert. Na ja und dann habe ich meinen Gedanken so zwei-, dreimal hin und her bewegt und bin bei der Verantwortung gelandet. Da habe ich erstmal große Augen gemacht. Und das ist ja dann der Punkt, an dem sich unser beider Wahrnehmungen die Hand reichen.
Verdammtes Bildungsbürgertum
Archi: Deine Freiheit geht so weit, bis sie die Freiheit einer anderen Person einschränkt – da hast du einen Punkt mit der „Verantwortung“.
Maria: Genau das meine ich ja. Ich bin darüber gestolpert, dass eine Schwester der Freiheit die Verantwortung sein muss und dann kannst du ja alles als Referenz heranziehen. Selbst Boris Blocksberg sinnbildlich. Und dann bleibt es, wie immer im Leben, im Ausgang offen. Freiheit bedeutet eben Verantwortung – für mich selbst, aber eben auch die, die keine oder nicht in Freiheit leben können.
Archi: Ist es nicht schön, dass ein Punk-Album solche Türen für Gedanken aufbrechen kann? Es wäre fast möglich, eine Doktor-Arbeit über „Sieben“ zu schreiben.
Maria: Verdammtes Bildungsbürgertum 😀
Archi: Fickt die Eliten!