Slime und Defekt Defekt in Hannover

Slime
Foto: Maria Graul

Eröffnet wird der Abend durch die in Bremen beheimatete Band DefektDefekt. Nicht ganz Punk, zu clean für Grunge oder anderen Garagensound, aber auch irgendwie zu hart für New Wave. Ein schroff, aber auch minimalistisch produziertes 80er Jahre Experiment einer deutsch-englischen Freundschaft irgendwo zwischen The Clash, Weezer, New Model Army oder Fischer-Z. Eine spannende Mischung auf jeden Fall.

Als sich kurzzeitig das Arbeitswerkzeug von Gitarrist Andreas Wolfinger verabschiedet, geht es ohne großen Zeitverlust mit Gesang, Schlagzeug und Bass weiter. Dass die Musiker echte Experten an ihrem Instrument sind zeigt sich ungefähr nach der Hälfte des Sets. Die beiden Frontstimmen Wolfinger und Tim Shapland tauschen Instrument, Rolle und Position. Neben einer mittlerweile gut gefüllten 60er-Jahre-Halle beobachten auch Slime einen Teil der Show aus dem Fenster des Backstagebereichs.

Politisch unverblümt und mit dem Finger ganz tief in der Wunde

Mit einem eher düster klingenden Intro verdunkelt sich die 60er-Jahre-Halle des Kulturzentrum Faust. Wenige Minuten später betreten Slime unter viel Applaus die Bühne. Los geht es mit dem Titel „Sie wollen wieder schießen (dürfen)“. Die Veteranen des Deutschpunks veröffentlichten den Song kurz vor Beginn ihrer 2016er Tour. Thematisch starten dieser Abend in slimescher Tradition. Politisch unverblümt und mit dem Finger ganz tief in der Wunde. Im ersten Teil des Abends wird es wenig Ansagen geben. Generell kündigt Frontmann Dirk „Dicken“ Jora eher die kommenden Songs an. Bereits im Sommer konnte man Slime auf Festivals und der Abschlusskundgebung der großen „No G20“ Demo energiegeladen und höchst motiviert erleben.

Seit ihrer letzten Show (Konzertbericht) vor fast genau einem Jahr hat sich leider wenig verändert. Wie ernst die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation ist, ist nicht schwer zu erraten. Bereits im letzten Jahr sprach Jora einen immer ernster werdenden Satz aus: „Wir haben ja immer gehofft, dass wir diese ganzen Songs im Jahr 2016 nicht mehr spielen müssen, da hat sich aber leider nichts verändert.“ Auch 2017 ist keine wirklich erfreuliche Veränderung zu erkennen. Passend dazu bemerkt Jora: „Wir stehen trotz der ganzen politischen Schweinereien auf und singen unsere Lieder, denn wir geben immer noch nicht nach!“

Iros wie Felsen in der Brandung

Eine ganze Weile war es ruhig um die Hamburger. Dass die Lage der Nation bedenklich ist, zeigt der zu beobachtende Enthusiasmus der Show. „I hate sexism and I hate fascism“ schreit Jora zwischen den Songs „We Don’t Need the Army“ und „Schöne neue Welt“ ins Publikum. Zu letzterem ruft er auf, unbedingt das Buch mit dem gleichnamigen Titel des britischer Schriftstellers Aldous Huxley zu lesen. Weiter geht es mit „Die Geschichte des Andreas T.“ und „Wir geben nicht nach“. Zwischen einem wirklich bunt gemischten Publikum kann man immer wieder wohl gekämmte und wie der Fels in der Brandung stehende Iros beobachten.

Es ist auch keine Ausnahme, dass Slime ihr Publikum ab der ersten Sekunde fest in den Zügeln halten. Die Gäste beweisen sich verdammt textsicher. Auch wenn viele der heute gespielten Songs vom neuen Album „Hier Und Jetzt“ (Review) stammen, ist der Großteil singend zu beobachten. Andererseits ist nur in den ersten Reihen der altbekannte Pogo zu sehen. Das Publikum wirkt in Masse aufmerksam, aber gesetzt. Woran das liegt ist nur zu erahnen.

„Was ist denn eigentlich mit dieser Band los? Hannes Wader und Led Zeppelin?“

„Zu Kalt“ und „Gewalt“ gehen als Akustiknummern über die Bühne. Hier zeigen sich die Anwesenden gespalten. Während sich die Einen die rotzigen Punknummern von früher wünschen, springen die Anderen voll und ganz auf den neuen Sound der Hamburger auf. Manche tanzen fast meditativ vor der Bühne. Das irritiert ein paar Besucher sichtlich  – ein komischer Pogo bei den jungen Dingern. Viele Besucher kommen über den Akustikpart ins Plaudern. Dies ändert sich jedoch schnell, als die Titel „Brandstifter“ und „Sich fügen heißt lügen“ angespielt werden. Natürlich fehlen auch die Slimeklassiger „Schweineherbst“, „Störtebecker“ oder „Deutschland muss sterben“ nicht.

„Alerta Alerta Antifascista“ hallt durch den Raum. Grinsend stimmen Jora und seine Mannen „Hier und jetzt“ an. Und wenn es am schönsten ist, soll man ja bekanntlich aufhören. Denkt wohl die Technik in diesem Moment und verabschiedet sich wie schon zuvor an diesem Abend. Jora nimmt spontan vor dem Schlagzeug platz und stimmt akustisch „Heute hier, Morgen dort“ an. Während Band und Publikum den 72er Hannes Wader Songs mitsingen, berappelt sich auch die Technik. Nach einem Led Zeppelin Cover scherzen Slime ausgelassen: „Also mehr als ein Led Zeppelin Cover geht echt nicht“, erklärt Jora und sagt etwas nachdenklich „Led Zeppelin haben eh alles von uns geklaut.“

Sofort ertönt ein fast vernichtendes „Ne! Eher andersrum.“ und aus einer anderen Ecke kommt „Was ist denn eigentlich mit dieser Band los? Hannes Wader und Led Zeppelin? Wie können wir das nun noch toppen?“ Die Band ist deutlich entspannt und authentisch zu beobachten. Jora wirft immer wieder seine Faust in die Luft oder breitet die Arme breit nach rechts und links gestreckt aus. Es scheint als würde er seine Texte fast predigen.  Eine wirklich angenehme Stimmung, die sich heute breit macht.

„Slime gehören ins Faust. Hier ist es geil, hier sind wir richtig“

Nachdem der Abend mit dem Hymne „Deutschland muss sterben“ von 1981 offiziell beendet wird hallen Zugabechöre durch das Kulturzentrum. Keine fünf Minuten später betreten Slime erneut die Bühne. Weiter geht´s mit „A.C.A.B.“ und „Legal, illegal, scheißegal“. Jora grinst und richtet sich mit einer Bitte an seine Gäste: „An dieser Stelle verzeiht uns unseren Ausflug ins Musikzentrum vor ein paar Jahren. Wir gehören ins Faust. Hier ist es geil, hier sind wir richtig.“

„Wir gehen jetzt mal in unsere unglaublichen Arroganz davon aus, dass ihr noch einen hören wollt.“ An dieser Stelle bedankt sich Jora bei den Song-Mitwirkenden Enrico von Los Fastidios und Paul Sheridan von The Wakes. „Solidarität!“ propagiert Jora und fährt fort: „Dankeschön. Das waren Slime aus Hamburg. Let’s get united!“