Bruce Springsteen – Only The Strong Survive

Jede und jeder, die mich persönlich oder allein aus meinen Reviews hier kennen, weiß, wie sehr ich den Boss liebe. Vor allem aber auch, wie abgöttisch ich „Letter To You“, das letzte Studioalbum Springsteens verehre. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich skeptisch gegenüber eines zweiten Coveralbums war, wenngleich mich die ersten Veröffentlichungen schnell überzeugten.

If you played in a bar on the central New Jersey shore in the ’60s and ’70s you played soul music.<span class="su-quote-cite">Bruce Springsteen</span>

Bruce Springsteen nennt das Album, auf dem er sich diesmal der Soul-Musik zugewandt hat „Only The Strong Survive“ und ich komme nicht drumherum zu schmunzeln und den Gedanken zu bewegen, dass allein die Titelvergabe die ganze Bandbreite Pathos abdeckt, die ich dem Boss zuteile, bekam doch die 2006er-Cover-Platte den ikonischen Titel „We Shall Overcome“. Wäre der Inhalt beider Platten nicht so fürchterlich zart, umarmend und verbindend, könnten es allein vom Titel, die Alben des Umbruchs sein. „Only The Strong Survive“ enthält 15 Songs, die meisten aus den 1960er und 1970er Jahren. Und ob man es glauben möchte oder nicht, führt Springsteen auch hier seine Ära des Rückblicks weiter.

Die Wurzeln des Philly-Souls

Eröffnet wird durch den Titeltrack. Dieser war ursprünglich ein Hit des Sängers Jerry Butler aus dem Jahr 1968 und ebnete die Wurzeln des Philly-Souls zu einer Zeit, als Springsteen begann, sich auf dem Rock Parkett New Jerseys zu bewegen. Seine erste Gitarre bekam er in der Entstehungs- und Veröffentlichungsphase der meisten hier zusammengetragenen Songs und so ist es wenig verwunderlich, dass der Titel mit den Worten „I remember …“ startet und dort ansetzt, wo sich Springsteens musikalische Identität entwickelte. Er erzählt weiter „Jetzt erinnere ich mich an meine erste Liebe – natürlich ging alles schief“ und es wird schnell klar, dass auch in diesem Album die Liebe den größten Stellenwert behalten wird. Egal ob es die Musik, die Menschen oder das weite Amerika ist, Springsteens Herz hat Platz für vieles. Butterweich geht es mit „Soul Days“ feat. Sam Moore, der 2000 erstmals von Dobie Gray aufgeführt wurde, weiter. Das Besondere an diesem Song ist tatsächlich Sam Moore, der hier seine Stimme leiht. Der 87-jährige Musiker ist eine echte Soulikone und bekannt vom Duo Sam & Dave. Er wird ein weiteres Mal bei William Bells Song „I Forgot to Be Your Lover“ (1968) unterstützen, welcher 1986 auch von Billy Idol gesungen wurde.

I wanted to make an album where I just sang. And what better music to work with than the great American songbook of the Sixties and Seventies? I’ve taken my inspiration from Levi Stubbs, David Ruffin, Jimmy Ruffin, the Iceman Jerry Butler, Diana Ross, Dobie Gray, and Scott Walker, among many others. I’ve tried to do justice to them all—and to the fabulous writers of this glorious music. My goal is for the modern audience to experience its beauty and joy, just as I have since I first heard it. I hope you love listening to it as much as I loved making it.<span class="su-quote-cite">Bruce Springsteen</span>

Es geht nur um die Stimme

Anders, als auf „We Shall Overcome – The Seeger Sessions“ bleibt „Only The Strong Survive“ puristischer. Springsteen widmet sich den einzelnen Stücken mit irre viel Respekt und verändert oder interpretiert so gut, wie nichts neu. Allein hier und da wird ein bisschen der Staub der alten Tage aufpoliert. Er bietet ganz klar dar und präsentiert einen Teil seiner Geschichte, ohne jedwelchen Springsteen Stempel aufzudrücken. Das macht dieses Album zu etwas sehr Besonderem. Springsteen wird von seiner Bläsergruppe, den E Street Horns, einer Streichergruppe und Backgroundsängern unterstützt. Auch sein Co-Produzent Ron Aniello spielt eine Reihe von Instrumenten – alle sozusagen, die keine Streich- oder Blechblasinstrumente sind.

Eine Herzenssache

Spannend ist, dass sich auf diesem Album erstmals das volle Volumen von Springsteens Soul-Stimme zeigt. Er nutzt sie, um verschiedene Rollen einzunehmen und die Geschichte zu jedem Song authentisch zu erzählen. „Nightshift“ ist einer dieser typischen „Alles wird gut Songs“ und „Do I Love You (Indeed I Do)“, „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ sind nur ein paar weitere, die so perfekt auf das Zärtliche in Springsteens Stimme passen.  „Don’t Play That Song“ birgt ein Geheimnis, zumindest dann, wenn man den Song in seinem Ursprung nicht gut kennt. Es ist der einzige Song, den Springsteen abwandelt. In dem 1962 von Ben E. King und 1970 von Aretha Franklin gesungenen Klassiker findet der Boss seine Worte über ganz eigene Erinnerungen: “I remember those summer nights down by the shore, as the band played, with you in my arms, and we moved across that floor.” Es ist nämlich so, dass Springsteen in seinen Anfängen genau diese Songs aus Motown und anderen Soul-Richtungen gemeinsam mit seinem Kumpel Steve Van Zandt in Läden wie dem Stone Pony in Ashbury Park performte – sie sind, bleibt man bei Begriffen wie „House Of A Thousand Guitars“, die Eingangshalle zu seiner Karriere und Vergangenheit. „Only The Strong Survive“ ist eine Herzenssache.

Von innen nach außen

Auch wenn davon auszugehen ist, dass „Only The Strong Survive“, wie „Letter To You“ ein weiterer Pandemie-Gewinn ist und so gleichermaßen dem Lockdown „zum Opfer fiel“, hätten dieser Platte mehr Gaststimmen der klassischen Soul-Szene definitiv gut gestanden. Andererseits dürfen wir jetzt ein Album hören, auf dem Springsteen uns nicht nur seine liebsten Soul-Stücke präsentiert. Er schafft es einmal mehr, so viel von sich selbst in jeden Song zu legen, dass wir hören dürfen, wie der Musiker selbst fühlt. „If you played in a bar on the central New Jersey shore in the ’60s and ’70s”, sagte er 2012 auf der Bühne des Apollo-Theaters in New York, “you played soul music.” Nun schafft er es, sich absolut schnörkelfrei einmal mehr mit genau dieser amerikanischen Musikgeschichte auseinanderzusetzen, während er dabei ganz frei von Allüren seine eigene erzählt.

Video: Bruce Springsteen – Nightshift

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bruce-springsteen-only-the-strong-surviveBruce Springsteen schafft es einmal mehr, so viel von sich selbst in jeden Song zu legen, dass wir hören dürfen, wie der Musiker selbst fühlt. "If you played in a bar on the central New Jersey shore in the '60s and '70s”, sagte er 2012 auf der Bühne des Apollo-Theaters in New York, “you played soul music.” Nun schafft er es, sich absolut schnörkelfrei einmal mehr mit genau dieser amerikanischen Musikgeschichte auseinanderzusetzen, während er dabei ganz frei von Allüren seine eigene erzählt.