„2022, fuck me hard“, wie meine Freundin Marie sagen würde, die ich in diesem irrsinnig rasanten Jahr und nach zwei Jahren Pandemie, bei Bad Religion in Barcelona wiedertreffen durfte. Was war dieses Jahr denn bitte für ein fürchterlicher und gleichermaßen überaus großartiger Ritt? Ich schaffe es mal wieder gerade so meinen Jahresrückblick auf den letzten Drücker fertig zu bekommen und vielleicht ist diese Zeit zwischen den Jahren, mit all ihrer Magie, genau die Richtige, um den Blick nochmal bewusst auf dieses bedeutende Medium Musik zu richten. Ich habe einen Moment überlegt, wie ich meinen Jahresrückblick aufbaue und ob ich Euch hier schon was von dem ganzen gruseligen Mist und der moralischen Verwerfung von Politik und Gesellschaft erzählen soll, habe dann aber festgestellt, dass die Alben und Konzerte meines Jahres an genau solche Ereignisse geknüpft sind und es das manchmal auch vielleicht gar nicht so dringend braucht, wenn man eh eine Sprache spricht. Also, schenkt Euch Euer Lieblingsgetränk ein, lehnt Euch zurück und begleitet mich durch ein irgendwie besonderes Jahr, welches am Ende am besten mit der Muff Potter Zeile „Anger is a gift“ beschrieben werden kann. <3
Meine Lieblingsalben 2022
Billy Talent – Crisis of Faith
Das Album erschien zu einer Zeit, als die lebenslang unangetastete Sicherheit meiner Generation ins Wanken geriet. Ich erinnere mich noch gut, wie ich das Album wieder und wieder auf dem Weg an die Ostsee hörte. Es war das Sturmwochenende in Deutschland, an dem reihenweise Bäume entwurzelt wurden, Corona noch ein echtes Thema war und wenige Tage später Russland in der Ukraine einfallen sollte. Ich werde nie vergessen, wie ich mit „Reckless Paradise“ im Ohr auf die Ostsee blickte und mich fragte, wie so ein Leben aussieht oder sich anfühlt, wenn man davon ausgehen muss, dass am nächsten Tag Bomben fallen könnten. Einen Tag später, am 24. Februar 2022, wachte ich mal wieder in einer neuen Realität auf.
Hot Water Music – Feel The Void
Muss ich dazu was sagen? HWT überzeugen mit „Feel The Void“ auf ganzer Linie. Was wäre das auch für ein Leben, wäre es anders. Läuft ziemlich stabil. Chriss Cresswell tut der aktuellen Besetzung auch echt gut.
No Fun At All – Seventh Wave
Mindestens genauso solide kommt das aktuelle No Fun At All Album um die Ecke. Komisch eigentlich, dass sich da kaum jemand dran erinnert. Vielleicht ging das aber auch irgendwie in dem ganzen Chaos um den Konflikt zwischen Sick Of It All und den Schweden unter. Übrigens das erste Mal, dass ich bewusst erlebt habe, dass ein Festival sich klar und dennoch objektiv zu einem Vorfall positioniert hat. Ich bin immer noch hocherfreut, liebes Brakrock!
Press Club – Endless Motion
Eigentlich gar nicht so ganz wahr, da die Band per se keine Unbekannte ist, aber im Sinne der Bewusstmachung die absoluten Newcomer des Jahres. Ich habe ja so ein bisschen den Verdacht, dass ich die Press Club Show om Sommer so irre gut fand, dass es mich komplett infiziert und umgehauen hat 😉
The Interrupters – In the Wild
Endlich wissen wir, dass es auch ohne Tim Armstrong gehen kann. Großartige Platte. Punkt.
The Flatliners – New Ruin
Irgendwie war es dann doch wichtig, dass The Flatliners ihren „alten Spirit wiederfinden und so musste ich bei meiner Inventur feststellen, dass „New Ruin“ das ganze Jahr immer wieder auftauchte. Gute Voraussetzung für den Jahresrückblick würde ich sagen.
New Junk City – Beg A Promise
Ich habe es ja vor ein paar Jahren schon mal geschrieben, diese Band spielt mich immer wieder an die Wand. Leute, hört laut New Junk City und supportet die Bois, damit wir sie endlich wieder hier in Hannover begrüßen dürfen. Das wäre ein schönes Geschenk für ’23.
The Wonder Years – The Hum Goes on Forever
Mit The Wonder Years durfte man das Gewicht dieser Welt über und mit den geografischen und emotionalen Orientierungspunkte verarbeiten. Vielleicht das einzige Album, was einen musikalisch am Ende dieser verdammten Pandemie hart ins Wasser wirft und wieder rauszieht, um seine Hörerschaft dann in ein Handtuch zu betten und beschützend sowie zuversichtlich zu umarmen. Keep your head up!
Muff Potter – Bei Aller Liebe
Wer sind eigentlich diese Muff Potter und warum würde ich sie gern immer noch in den Punkreigen schreiben, merke aber, dass sich das falsch und fast wie eine Beleidigung anfühlt. Gibt es politischen Pop? Ist Indie vermessen oder spielt das alles einfach keine Rolle, weil es ist, wie es ist und sich diese Band noch nie so richtig gern in eine einzige Schublade stopfen lies? Hier schließt sich nun der Kreis. Muff Potter besiegeln ihr Comeback – kritisch, mit scharfem Blick und Texten, so messerscharf, dass man sich fast daran verbrennen könnte. Ich bin so geschmolzen, dass „Bei Aller Liebe“ wahrscheinlich mein Album des Jahres ist. 1000 x gehört, 1000 x verliebt.
Bester Song des Jahres
Der Song hat schon zwei Jahre auf dem Buckel, aber als ich die Performance von Bleachers
im Januar bei Saturday Night Live sah, war es um mich geschehen. All das hat natürlich nichts mit einem gewissen Bruce Springsteen zu tun.
Meine Lieblingskonzerte 2022
Muff Potter | Uebel & Gefährlich | Hamburg
Großartige Band, großartige Location, großartige Stadt, großartige Begleitung, großartiger Abend. Diese Show war so unperfekt perfekt, dass ich gern schon wieder eine Muff Potter Show sehen würde. Wie haben wir die Zeit ohne Nagelschmidt und seine Mannen nur ausgehalten? Schön, dass Ihr wieder da seid!
Bad Religion, Suicidal Tendencies, Millencolin, Pulley & Blowfuse | Poble Espanyol | Barcelona
Das war meine erste Großveranstaltung nach der Pandemie und ich lief die ersten Minuten, wie auf Eis. Drei Hopfekaltschalen zur Beruhigung später fand ich mich zwischen wunderschönen Punks im Pit der ersten Reihe wieder. Wer mal in Barcelona ist und die Möglichkeit hat, ein cooles Konzert im Poble Espanyol zu besuchen, sollte das unbedingt machen. Das war irre, richtig irre,
Die Ärzte | Hannover/Berlin
Hannover war einfach nur zeitlos schön. Eins der kurzweiligsten Konzerte dieses Jahres. Nicht nur, dass laue Sommernächte der Oberhammer sind, die Kombination aus Band, Songauswahl, Menschen um mich und Mitsingchören hat mir unendlich gut gefallen. Berlin war zu groß, aber endlich mal wieder eine Show mit meinem Lieblingsmensch.
Das Fährmannsfest | Fährmannsufer | Hannover
Das Fährmannsfest ist immer etwas besonders. Zum einen ist es endlich mal ein Festival, bei dem ich in meinem eigenen Bett schlafen kann. Zum anderen hat es meist eine gewisse Aufbruchsstimmung inne, da ein Teil der Besucher:innen schon mit einem Bein auf dem Weg zum Punk Rock Holiday ist und am Ende ist es einfach eins der kleinsten, schönsten und familiärsten Festivals dieser Republik. In diesem Jahr haben die Beatsteaks den Freitag einfach dermaßen abgerissen, dass ich am liebsten immer noch Zugabe rufen möchte.
Booze Cruise Festival Hamburg
Was soll ich sagen? Große Liebe – Für die Musik, dieses Wochenende in Hamburg, die dazugehörige Szene, alle Künstler und Künstlerinnen und all diese unfassbar schönen Menschen! Wir sehen uns vom 23.-25. Juni in Hamburg.
Grade 2 live in Hannover
Robert hat es ja auch schon geschrieben. Grade 2 spielten in diesem Jahr ganze 2x in Hannover. Die Show im Béi Chéz Heinz war trotz einer viel zu geringen Besucherzahl der absolute Hammer. Was für eine unfassbar starke Band.
Social Distortion, Grade 2 und Lovebreakers live in Hannover
Das war beiweite nicht das beste Konzert des Jahres, aber ich erinnerte mich schnell, dass mein erstes großes Interview mit Social Distortion sein sollte – damals, kurz nachdem alles angefangen hat. Ihr könnt Euch sicherlich vorstellen, dass ich damals mit meinen Anfangirgendwaszwanzig ganz schön aufgeregt war. 2022 durfte ich Social Distortion nun fotografieren. Wenige Tage, bevor mein Coronitest das erste Mal zwei Striche anzeigen wollte. Was für ein wildes Wochenende.
Social Distortion, Grade 2 und Lovebreakers live in Hannover
Lagwagon, Good Riddance & Shoreline | Hannover
Diese Show war aus so vielen Gründen großartig: Joey Cape war irre gut gelaunt an diesem Abend und lud Erin Burkett zum Song „E Dagger“ auf die Bühne. Ein absolutes Novum für Deutschland, glaube ich. Auch Good Riddance gingen gut nach vorn. Rundum gelungen, möchte ich sagen!
Kind Kaputt Hannover
Frisch aus dem letzten Urlaub aus Spanien gelandet und frisch verliebt – mehr gibt es dazu nicht zu sagen. 😉
Worauf ich mich 2023 am meisten freue
Definitiv auf das kommende Pascow Album! Fairerweise kann ich sagen, dass es schon eine Weile auf Dauerrotation läuft und ich, nachdem ich voll fasziniert aus allen Wolken gefallen bin, Archi eines Morgens befohlen habe, dass er mit mir ein Kreuzverhör schreiben muss. Auch das ist nämlich viel zu lange her. Es stehen richtig gute Konzerte an und ich werde alte Freund:innen wieder treffen. Punk Rock Holiday, Ruhrpott Rodeo, Booze Cruise und Fährmannsfest stehen auch fest im Kalender. Ihr kennt mich, auch der Reisekalender ist eigentlich schon wieder am Limit – ich habe so richtig Lust weiter die Welt zu entdecken. So einen Virus für alle Vollpfosten da draußen; da hätte ich auch überhaupt nichts gegen. Schwurbler, Reichsbürger, Faschisten und wie der ganze gesellschaftliche Bodensatz sonst so genannt werden will – weg damit und Weltfrieden rein. Das wäre es!