Im KreuzverHör: Adam Angst – Neintology

Adam Angst Neintology Review

Mit „Neintology“ veröffentlichen Adam Angst das zweite Studioalbum nach dem selbstbetitelten Debüt aus dem Jahr 2015 (CD-Review). Archi und Maria sind „fast“ immer auf einer sehr ähnlich musikalischen Welle, als die beiden jedoch begonnen haben, über das neue Album der Kölner Band zu diskutieren, bahnte sich in der Redaktion kurz das Gefühl an, es würde in einem Hahnenkampf enden.

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Adam Angst 2018Adam Angst – Neintology
Release:
28. September 2018
Label: Grand Hotel Van Cleef

Maria: Der Prediger der unsanften Wahrheiten kehrt zurück und hat mal wieder den so ungeliebten Spiegel der bitterbösen Wahrheit im Gepäck. Sollte man es also wagen, “Neintology” schon als “klassisches” Adam Angst Album zu betiteln? Das erste Mal zogen mir die Herren den bereits benannten Spiegel nach dem Opener “Der Beginn von etwas ganz Großem” und folgend dem ersten Song “Punk” über den Kopf. Nachdem ich dachte “Wass´n das für´n Synthiequatsch”, wurde mir durch die Zeile “Ihr habt scheinbar keine Ahnung, wie Punkrock funktioniert” schnell klar, dass ich dem episch anmutenden 80-Sekunden Opener voll auf den Leim ging. Herr Schönfuss setzt für mich genau da an, wo sich dieser Punk schon immer herumgetrieben hat – mit dem provozierenden Mittelfinger genau in der Wunde. Der Fun Fact dazu ist, dass sich mein Media Player direkt aufhing und recht viel Aufmerksamkeit forderte, mir auch den Rest des Silberlings zu offenbaren.

„Mehr Klischee geht nicht“

Archi: Zuerst dachte ich, ich höre in das falsche Album. Ist das der Opener für die neue Rammstein-Platte? Und dann ein Song mit dem Titel “Punk” und klassischen vier bzw. drei Akkorden und Ohoho’s – mehr Klischee geht nicht. Ein klassischer Punk-Song darüber, wie scheiße “echte” Punks die eigene Band finden. Witzig? Irgendwie drüber? Ich kann mich nicht entscheiden. Dann Punk auf Thai…Land (in dieser Betonung) reimen – wo das erste Album noch spaßig mit Farin Urlaub verglichen wurde, ist diese Verwandlung nun endgültig vollzogen. Und als nächstes dann die erste Single “Alexa”, die im Netz vorab schon für sehr gespaltene Meinung gesorgt hat – wie auch bei mir. Puh! Das kann was werden.

Maria: Haha und schon sind wir da, wo Adam Angst uns haben wollen – mitten in einer Diskussion, in deren Verlauf wir uns eventuell – wenn wir nicht realistisch in die Tiefe schauen – am Ende zerfetzen. Wie ist es denn mit dem Punk und was ist 2018 der “echte” Punk? War es nicht mal so, dass es ums Provozieren ging und ist es es nicht so, dass genau das der Anteil ist, der schon längst begraben ist? Es ist ja nun mal nicht mehr so einfach mit diesem Provozieren – im schwedischen Klamottenhandel hängen die Ramones an der Stange, grüne Haare interessieren keine Seele mehr und sind im pastelligem Farbverlauf eher mondän und selbst die letzte Bastion des Häuserbesetzens unterwirft sich mehr und mehr der Yuppisierung. Widerstand ist ja auch einfach ganz realistisch ordentlich kraftintensiv. 😉
Was bleibt ist die intellektuelle Provokation – für mich offenbaren Adam Angst tatsächlich ganz richtig ziemlich viele ungemütliche Eigenschaften dieser Gesellschaft. Punk 2.018.

„Die größte “Provokation” ist ja schon ein zweites Studioalbum“

Archi: Die Frage ist, ob “Punk” so offensichtlich provozieren muss und ob (gewollte) “Provokation” nicht schon immer eher die schlechteste Seite des Punks war. Ich erinnere an Sid Vicious mit Hakenkreuz-Shirt im jüdischen Viertel in Paris. Auch wenn Adam Angst da sicher auf der anderen beziehungsweise guten Seite der Provokation stehen, entlockt so etwas doch eher ein müdes Gähnen. Und die nächste Frage ist, ob es was bringt, die Nicht-Mehr-Provozierenden zu provozieren.

„Was bleibt ist die intellektuelle Provokation“

Maria: Genau da treffen wir uns wieder, auch wenn die Erinnerung, dank Deines Beispiels, nicht die Schönste und ja auch dieses “schnelle” Vergessen oder Verdrängen eine offensichtliche Schwäche der Meisten ist, frage ich mich, wer hier eigentlich wachgerüttelt werden soll oder muss. Ist die sich angesprochen fühlende Schnittmenge nicht eh schon die, die versucht es “besser” zu machen und können diejenigen, die es verstehen müssten, überhaupt so offensichtlich in den Zeilen lesen? Zum Gähnen veranlasst mich das Album so gar nicht – tatsächlich tauchen eher hundert Fragen auf.

Archi: Eventuell kommt es auf die Erwartungshaltung an, mit der jeder einzelne an das Album herangeht.

Maria: Ich hatte keine.

Archi: Ich schon.

Maria: Die größte “Provokation” ist ja schon ein zweites Studioalbum.

Archi: Genau weil es das zweite Album ist, habe ich mich gefragt, wie es mit der Kunstfigur “Adam Angst” weitergeht. Das erste Album stand natürlich noch unter dem Stern “Was kommt nach Frau Potz?” – dieser Bonus war jetzt nicht mehr vorhanden. Darum gab es für mich jetzt diesen “Hop oder Top”-Moment bei “Neintology”, denn es hätte auch einfach (wieder) nach einem Album Schluss sein und das erste, selbstbetitelte Album vollkommen für sich allein stehen können.

„Ungeschönt, überehrlich und fast ekelhaft arrogant in seiner absoluten Legitimation“

Maria: Hätte, hätte Fahrradkette. Irgendwie finde ich es gut, dass sich genau diese Befürchtung nicht bewahrheitet hat.

Archi: Kann man so oder so sehen.

Maria: Zurück zur Kunstfigur, wenn ich darf?

Archi: Ich bitte darum!

„Was ich allerdings immer wieder mehr als bewundere ist die Kombination aus fast schwindelerregender Wortgewandtheit und einer offensichtlich blitzschnellen Beobachtungsgabe Schönfuß´.“

Maria: Grazie mille. Jedenfalls hätte ich es fast fahrlässig gefunden, Adam Angst nach einem Album sterben zu lassen. Überleg mal, seit “Adam Angst” sind drei Jahre vergangen und gefühlt haben sich die Themen verdoppelt, während einfach ganz viel von “damals” noch brandaktuell ist. Und genau das ist Adam Angst für mich – wie eingangs benannt – der glasklare Spiegel dieser Themen: ungeschönt, überehrlich und fast ekelhaft arrogant in seiner absoluten Legitimation.

Archi: Vielleicht hat Felix mit Johannes Koster, Christian Kruse, David “Kosslowski” Frings und seinem Freund (#instainsider) Roman Hartmann jetzt endlich die passende Band gefunden, die ihm auch mal den Tritt in den metaphorischen Arsch bzw. die nötige Sicherheit für ein zweites Studioalbum gegeben hat.

„Punk 2.018 – auch vom Sound“

Maria: So wirkt es auf jeden Fall und produziert wurde die Platte auch gewissermaßen in Eigenregie. Dafür ist der Sound, im Vergleich zum Vorgänger, deutlich gewachsen. Ich finde man hört, dass die Band sehr viel mehr Sicherheit in ihrer “Besonderheit” gefunden hat. Was ich allerdings immer wieder mehr als bewundere ist die Kombination aus fast schwindelerregender Wortgewandtheit und einer offensichtlich blitzschnellen Beobachtungsgabe Schönfuss´. Adam Angst steht für mich für Entwicklung, vielleicht sogar mit dem Begriff Lebensphase zu umrahmen. Bei Frau Potz oder Escapado war es letztendlich nicht anders – immer ein erkennbarer Anteil Felix Schönfuss, aber auch immer wieder der Schritt in eine neue Richtung.

Archi: Da hast Du recht, das klingt alles mega fett und wurde durch den Mix von US-Produzent Beau Burchell auch noch amtlich unterstrichen. Wie Du schon gesagt hast: Punk 2.018 – auch vom Sound her. Aber da kann ich (und sicher auch die Band) wiederum verstehen, wenn da Liebhaber von Punk 1.0 die Nase rümpfen.

Maria: Das wird ja – um den gespannten Bogen mal abzufeuern – in “Punk” gewissermaßen schon angekündigt. Auch das macht es für mich wieder ehrlich und authentisch. Denen ist schon bewusst, was sie da tun – ich würde fast behaupten wollen, dass “Neintology” zu 100% durchkonzipiert ist. Aber jetzt mal Butter bei die Fische. Holt Dich denn irgendein Song der Platte ab?

„Ein wahrnehmungsförderndes Augenöffnen für mehr Tiefgang und Menschlichkeit“

Archi: Klar. Adam Angst = Kunstfigur = Konzept. Das muss jedem Hörer vorab bewusst sein. Mir fällt es dennoch schwer, mich damit anzufreunden, hinter jeder Zeile zu überlegen: “Ist das jetzt Ironie oder meinen die es wirklich so?”. Aber genau das ist ja das Ziel von “Neintology”, würde ICH behaupten. Das Thema abholen ist dann eine andere Sache: Ich habe das Gefühl, dass Songs, die mir thematisch gut gefallen, musikalisch so gar nicht meinen Geschmack treffen. Während Songs wie “Kriegsgebiet” mir musikalisch gut gefallen, aber mir dieses elendige Aufzählen von Markennamen etc. dort dann gegen den Strich geht. Vielleicht bin ich aber auch zu schwierig, was das angeht.

Maria: Du meinst die catchy Punk-Polka “Alle Sprechen Deutsch”?

Archi: Ja. Gänsehaut, aber keine schöne.

„In 30 Jahren lachen wir über “Alexa” und können höchstens sagen: ‚Adam Angst wusste damals schon, worauf es hinausläuft. Dieser Fuchs!'“

Maria: Ich bin tatsächlich hin und her gerissen, was ich aber gar nicht so schlimm finde. Schaut man sich allein den Sound an ist es, wie Du schon sagtest, “fett” und offen für ein breites Publikum. Da könnte man jetzt direkt wieder anfangen zu diskutieren, ich fühle mich aber eher verträglich damit. Thematisch stehe ich voll hinter dem Album. Es fällt mir wirklich schwer, etwas aus dem aktuellen gesellschaftlichen Pool zu finden, was nicht abgearbeitet wurde und da gehört der Markenwahnsinn im Zusammenhang mit nationaler und internationaler Ausbeutung genauso dazu, wie die Themen seelische Gesundheit, Flucht, Angst und Neid, Selbstbezogenheit, aber auch ein wahrnehmungsförderndes Augenöffnen für mehr Tiefgang und Menschlichkeit. Ein bisschen habe ich ja auch das Gefühl, dass wir beide in unserer Sicht gar nicht so weit auseinander sind, allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven auf “Neintology” blicken. Wenn das “massentauglich” wird, gehört wird und sich im besten Fall recht gut in den Charts platziert, werde ich sicher zu dem Ergebnis kommen, froh zu sein, dass mehr und mehr dieser Texte bei der breiten, aber vor allem auch “grauen” Masse landen.

Archi: Ja, auf jeden Fall. Das Album trifft den “Nerv der Zeit”, für mich sogar ein bisschen zu sehr. Ich kann mir nur leider nicht vorstellen, dass es in fast 30 Jahren noch so ein Klassiker sein kann/wird, wie beispielsweise “Schweineherbst” von Slime, das auch den Nerv der damaligen Zeit getroffen hat und traurigerweise noch heute trifft. Andererseits ist natürlich auch die Frage, ob das überhaupt der Anspruch ist oder sein muss. Tatsache ist: In 30 Jahren lachen wir über “Alexa” und können höchstens sagen: “Adam Angst wusste damals schon, worauf es hinausläuft. Dieser Fuchs!”.

Video: Adam Angst – Alle sprechen deutsch